Die CDU erlebt einen weiteren Tiefschlag, die Verantwortlichen empfinden die Niederlage ihres Kandidaten Sebastian Turner aber als gar nicht so schlimm. Die Bürgermeisterin Susanne Eisenmann fordert jedoch eine personelle Erneuerung.

Stuttgart - Die CDU im Land und in Stuttgart befindet sich weiter im Tief: Innerhalb von 19 Monaten hat die CDU die zwei wichtigsten Machtzentren im Land abgeben müssen: Im März 2011 den Regierungssitz in der Villa Reitzenstein und jetzt auch das Stuttgarter Rathaus. Dass der OB-Posten in Stuttgart eine ganz besondere Funktion hat, hatte der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl vor der Wahl bestätigt, als er von einem Amt mit „großer landespolitischer Bedeutung und bundespolitischer Ausstrahlung“ sprach.

 

Nach der ersten Wahl vor zwei Wochen hatte der von der CDU unterstützte Kandidat Sebastian Turner noch gemutmaßt, die Wähler wünschten sich einen „parteilosen, überparteilichen Oberbürgermeister, der den Bau von Stuttgart 21 nicht weiter verschleppt und verteuert“. Doch dies blieb Wunschdenken. Und so geht mit dem klaren Erfolg des Grünen Fritz Kuhn im Stuttgarter Rathaus eine 38-jährige Vorherrschaft der Christdemokraten zu Ende.

Die Niederlage sein kein Beinbruch, sagt Stefan Kaufmann

Für die Stuttgarter CDU und Turner sind die 45,3 Prozent bei der Neuwahl offiziell kein Beinbruch: Man habe das Potenzial der bürgerlichen Parteien ausgeschöpft, bilanzierte der Kreisvorsitzende Stefan Kaufmann am Sonntagabend und pries die Steigerung gegenüber dem Debakel bei der Landtagswahl 2011. Damals kam die CDU in Stuttgart auf 31,5 Prozent. Allerdings kann ein CDU-Bewerber nur bei einer Persönlichkeitswahl auf viele SPD-Stimmen hoffen, weshalb sich der direkte Vergleich verbietet. Und: mit dem Anspruch, Platz zwei genüge, waren Turner und seine Unterstützer nicht gestartet. Landeschef Strobl hatte sogar auf die absolute Mehrheit schon im ersten Wahlgang spekuliert.

Mit dem Argument, er könne nicht nur die konservativen Stammwähler begeistern, sondern auch in fremden Lagern Stimmen sammeln, hatte der Kandidat beim Nominierungsparteitag zwei Drittel der Mitglieder überzeugt und seinen Widersacher, den Ex-Sozialminister Andreas Renner, hinter sich gelassen. Zu dessen Gunsten hatte Susanne Eisenmann eigene Ambitionen aufgegeben. Die Kulturbürgermeisterin nahm nach Bekanntgabe des Ergebnisses kein Blatt vor den Mund: „Das ist ein schwarzer Tag für die CDU.“ Nach drei verlorenen Wahlen sei nun „dringend geboten, dass sich meine Partei überlegt, wie es inhaltlich und personell weitergeht“.

Kulturbürgermeisterin Eisenmann fordert Konsequenzen

Eisenmann forderte indirekt den Rücktritt von Landeschef Strobl und Kreischef Kaufmann: „Ich gehe davon aus, dass die für dieses Debakel Verantwortlichen klug genug sind, die richtigen Schlüsse zu ziehen.“ Es sei ein Fehler gewesen, die Grünen aggressiv anzugehen. Das mobilisiere nur deren Wähler. Fatal sei auch die Äußerung Strobls gewesen, Stuttgart 21 sei tot, falls auch noch der OB-Posten in grüne Hände gerate. Damit habe er Projektgegner zur Wahl Kuhns aufgerufen.

Der Vorsitzende der Jungen Union (JU) in Stuttgart, Benjamin Völkel, sagte: „Das Experiment, einen Parteilosen zu präsentieren, ist schief gegangen.“ Mit Renner hätte man einen Wahlkampf „CDU gegen Grüne“ führen können. Erschreckend seien die schlechten Ergebnisse in der City. Eine Personaldebatte fordere die Junge Union jedoch nicht. Für den CDU-Regionalparlamentarier Wolfgang Häfele, der kurzzeitig auch als Kandidat gehandelt wurde, steht fest: „Turner war der falsche Kandidat.“

Beim Thema Finanzen droht offenbar ein Minus

So wichtig wie die inhaltliche Bewertung des Wahlkampfes wird beim Kreisparteitag das Thema Finanzen sein. Rund 400 000 Euro waren für den Wahlkampf offiziell veranschlagt. Es droht nun offenbar ein Minus, weil sich viele Anhänger mit Spenden zurück gehalten haben sollen. Und zwar nicht zuletzt deshalb, weil der Multimillionär Turner seinen Einsatz auf rund 30 000 Euro beschränkte. In der Ratsfraktion regte sich am Ende deshalb auch Widerspruch, als es darum ging, je 200 Euro für eine Zeitungsanzeige zu bezahlen.

Die Idee, einen aktuell nicht in Stuttgart verwurzelten Parteilosen ins Rennen zu schicken, um sich dem von Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus erzeugten Abwärtsstrom zu entziehen, stammte von Kaufmann und war in Berlin mit führenden Christdemokraten ausgehandelt worden. Mitglieder der Stuttgarter Findungskommission wie die Ratsfraktionsvize Iris Ripsam fühlten sich überrumpelt. Am Sonntagabend sagte sie, das Attribut Überparteilichkeit habe offensichtlich beim Wähler nicht verfangen. Als „völligen Blödsinn“ bezeichnete der Chef der Gemeinderatsfraktion, Alexander Kotz, die Rücktrittsfrage. Die Antwort bezog sich nicht nur auf Kaufmann, sondern auch auf ihn selber. Kaufmann lehnte die Forderung nach einem Rückzug ab. Die Nominierung Turners sei von einer breiten Zustimmung getragen gewesen.

Kaufmann steht im zweiten Jahr an der Spitze der CDU. Dass das so bleibt, liegt auch „an fehlenden Alternativen“, wie die JU konstatiert. Die Kritikerin Susanne Eisenmann, die sich vor zwei Jahren als Kreisvorsitzende angeboten hatte, aber abgelehnt worden war, steht jedenfalls nicht mehr zur Verfügung: „Ich bin nicht die Trümmerfrau der Stuttgarter CDU“, sagte sie. Und auch die Bundestagsabgeordnete Karin Maag hat bereits abgewunken.

Die Kampagne war geprägt von Fehltritten

Seitdem am Abend der OB-Wahl 2004 die politische Karriere des Staatsministers und Kreischefs Christoph Palmer mit den Ohrfeigen gegen seinen Parteifreund Joachim Pfeiffer zu Ende gegangen ist, hat die CDU ein Führungsproblem. Fraktionschef Kotz räumt ein, für die Großstadtbevölkerung derzeit nicht die richtigen Antworten zu liefern. Man werde sich jetzt klarer positionieren.

Die Kampagne des Medienprofis war geprägt von etlichen Widersprüchen und Fehltritten. Er hatte in der Summe fast 600 Vor-Ort-Termine. Im Gespräch mit den Bürgern blieb der „Mann mit der Brezel“ aber distanziert. In seinem Umfeld hieß es, er wirke arrogant und polarisiere eher, als dass er sein Wahlkampfmotto „Miteinander“ lebe. Aufmerksamkeit erregte er mit seiner Position zu Stuttgart 21. Die Aufforderung, die Bahn müsse schnell fertig bauen, wirkte von dem Moment an merkwürdig, als sich Zugentgleisungen im Bahnhof häuften und Kritik am Brandschutzkonzept laut wurden.

Die FDP zieht eine vernichtende Bilanz

Unter der „Plakataffäre“ litt die Glaubwürdigkeit des CDU-Bewerbers: Als potenzieller Rathauschef ließ sich Turner von Unternehmen im Wahlkampf mit einer Plakatfläche unterstützen, die mit der Stadt in geschäftlichen Verbindungen stehen. Sein Image als „Unabhängiger“ litt darunter, dass er sich anfangs die Miete für sein Wahlkampfbüro von einem Immobilienunternehmen bezahlen ließ.

Nach der ersten Wahl stimmte das Turner-Lager die Stuttgarter auf eine Richtungsentscheidung ein, bei der es darum ging, den „grünen Autofeinden“ nicht auch noch die Hauptstadt von Daimler und Porsche zu überlassen.

Eine vernichtende Bilanz zog der FDP-Fraktionschef im Stuttgarter Gemeinderat, Bernd Klingler: „Obwohl wir Liberale uns voll reingehängt haben, fanden unsere Themen im Wahlkampf überhaupt nicht statt. Und dann sind wir noch bei den Verlierern.“ Es wäre besser gewesen, die FDP hätte einen eigenen Kandidaten aufgestellt. „Wir hätten unsere Wähler besser mobilisiert“, sagte Klingler. Vor dem zweiten Wahlgang hätte man dann den Kandidaten zurückziehen und eine Empfehlung aussprechen können.