Einsatzfahrzeuge der Polizei vor dem Rathaus, eine Menge verärgerter Bürger am verbarrikadierten Hintereingang und ein überfüllter Sitzungssaal: Bei einer Podiumsdiskussion der „ArchitektInnen für K 21“ geht es emotional zu.

Stuttgart - Einsatzfahrzeuge der Polizei vor dem Rathaus, eine Menge verärgerter Bürger am verbarrikadierten Hintereingang und ein überfüllter Großer Sitzungssaal sind auch noch zweieinviertel Jahre nach dem Start von Stuttgart 21 untrügliche Belege dafür, dass es im Haus ums Aufregerthema geht. Die Podiumsdiskussion der Gruppe „ArchitektInnen für K 21“ mit fünf der sechs Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl im Herbst war denn auch die bisher beste Gelegenheit für die Bewerber, deutlich zu machen, wie sie zur Tieferlegung des Hauptbahnhofs, zur Ökologie und Grundwasserwirtschaft stehen.

 

Das gelang meist umso besser, je weniger die Kandidaten zu sagen hatten. Der Moderator Jo Frühwirth hatte die Zeit für die Antworten auf jeweils eine Minute begrenzt, so dass das Quintett mitunter nicht mehr als Stichworte und Schlagzeilen herunterrattern konnte. Ein munteres Streitgespräch war nicht möglich. Hätte das Zeitlimit doch nur auch für die Fragesteller aus der Architektenschaft, vom Verkehrsclub und dem BUND gegolten. Sie machten den Kandidaten mit ihrer ausufernden Formulierungsfreude („Wie würden Sie als Vorgesetzer der unteren Wasserbehörde bei Genehmigungen fürs Grundwassermanagement agieren?“) das Leben richtig schwer.

Der Abend der eingefleischten Tiefbahnhofverächter

Um es vorwegzunehmen: es war nicht der Abend von Sebastian Turner und Bettina Wilhelm – womit beide aber auch wirklich nicht gerechnet haben durften. Sie erweckten bei diversen neutralen Zuhörern den Eindruck, sie hätten dieses Auswärtsspiel von vornherein „abgeschenkt“ in Anbetracht der versammelten Projektgegnerschaft. Geschätzte 99 Prozent des Publikums durften zu den eingefleischten Tiefbahnhofverächtern gezählt werden, die folgerichtig jedes Plädoyer für den Weiterbau selbst dann mit Gelächter und Pfiffen bedachten, wenn sich die beiden um kritische Untertöne bemühten. Sogar ein lautes „Lügenpack“ war dabei. Dabei würde Turner als OB die Bahn auffordern, die wahren Projektkosten offenzulegen und seine Verwaltung anweisen, alles dafür zu tun, dass S 21 schnell und möglichst, ohne viel Dreck zu machen, fertig gebaut würde. Auf die hypothetische Frage, was er zu tun gedenke, wenn sich in zehn Jahren der Schienenverkehr verdoppelt hätte, der neue Bahnhof also zu klein wäre, vermochte Turner mit dem Hinweis, die Frage müsste die nächste Generation beantworten, dem Publikum keine zufriedenstellende Antwort zu liefern. Der Grünen-Kandidat Fritz Kuhn forderte einen zweijährigen Testbetrieb, bevor die oberirdischen Gleise entfernt werden dürfen.

Dass künftig ein grüner Wall mit überdimensionalen Glupschaugen quer im Schlossgarten liegen wird, findet der von CDU, Freien Wählern und FDP unterstützte Unternehmer Turner „schade“. Aber die Bahnsteighalle lasse sich nun einmal nicht noch tiefer legen. Dass man stattdessen die die Stadt trennenden Gleise entfernen könne, sei aber ein Pluspunkt. Bettina Wilhelm, die bei der Volksabstimmung für den Projektausstieg plädiert hatte, räumte ein, der Risikotopf für S 21 sei weitgehend geleert, mehr als 4,52 Milliarden Euro würde sie als OB nicht fürs Projekt bezahlen wollen. Mit der zinsfreien Nutzung des Geländes sei es für die Bahn nach 2021 jedenfalls vorbei. „Da würde ich klare Kante zeigen.“

Heimspiel für drei der Kandidaten

Das taten auch jene drei mit Heimspielrecht ausgestatteten Kandidaten, wobei der parteilose Jens Loewe und Hannes Rockenbauch (SÖS) sogar noch weniger Kompromisse bei S 21 einzugehen bereit wären als Fritz Kuhn: nämlich gar keine. S 21 sei kein Fortschrittsprojekt, sondern eine „Jahrhunderttäuschung“, das an seinen Widersprüchen scheitern würde, so Loewe. Es wäre sein „Hauptthema, es aufzuhalten, bevor die halbe Stadt zerstört ist“. Auch für einen OB Rockenbauch gäbe es nichts Wichtigeres, als das schädlichste „Rückbauprojekt“ zu beenden. Schließlich verhalte es sich „parasitär im öffentlichen Raum“. Dafür gab es ebenso Ovationen wie für die Forderung, die Benutzung von Bussen und Bahnen müsste kostenlos sein. Fritz Kuhn bezweifelte einmal mehr, dass die Bahn in der Lage sei, S 21 zu bauen. Man müsse ihr auf jeden Fall mehr auf die Finger schauen als bisher. Mittlerweile hält er es nicht mehr für ausgeschlossen, dass das Projekt scheitern könnte. Wie Rockenbauch erwähnte er ein von der Bahn in Auftrag gegebenes Gutachten, eine Art Stresstest für die Bahnsteige und Verteilerebene. Es lege den Verdacht nahe, im Tiefbahnhof könnten selbst bei weniger Zugankünften als heute „japanische Verhältnisse“, sprich drangvolle Enge herrschen. Die SPD-Bewerberin Wilhelm wollte zu Kapazitätsfragen nichts sagen. Sie verwies stattdessen auf die Bahn, denn „man muss sich auch einmal auf eine Expertenmeinung verlassen“. Das sah das Publikum ganz anders.