Bei den OB-Wahlen in Esslingen haben die Kandidaten 60 Prozent der Wahlberechtigten nicht erreicht. Johannes M. Fischer geht der Frage nach, warum das so ist.

Esslingen - Esslingen steht vor einem klassischen Zweikampf. Klassisch im wahrsten Sinne des Wortes: Als wäre es die Auferstehung der alten Bundesrepublik tritt ein Mann der CDU gegen einen Mann der SPD an.

 

Schmeichelhaft scheint das vor allem für die SPD zu sein, die bundesweit längst ihre führende Stellung eingebüßt hat. In Esslingen aber ist sie zumindest als Netzwerk stark. Das hat unter anderem damit zu tun, dass einzelne Personen sehr aktiv in die Stadtgesellschaft hinein wirken. Es gibt weitere Zirkel in der Stadt, unter anderem solche, die den Kandidaten von Freien Wählern, CDU und FDP unterstützten. Diese lokalen Zirkel sind teilweise ineinander verzahnt, teilweise existieren sie aber auch parallel nebeneinander, ohne sich zu berühren. Gemeinsam haben sie aber eins: Ihre Mitglieder gehören zu den „engagierten Bürgern“, wie sie sich zuweilen gegenseitig titulieren. Nimmt man die Gruppe der Engagierten zusammen, dann sind sie in der Lage, etwa 30 000 Menschen zu aktivieren, um einen neuen OB zu wählen. Die spannende Frage ist: Was ist mit den restlichen 40 000 Wahlberechtigten, die nicht gewählt haben?

Da steckt Sprengstoff drin

Es ist eine entscheidende Frage, die für die Zukunft wichtig werden kann, weil sie Sprengstoff enthält. Sie steht in Esslingen noch nicht so sehr im Fokus, weil die Welt irgendwie immer weitergeht und in Ordnung zu sein scheint. Tatsächlich bricht die Welt aber auf, auch in Esslingen. Und Parteien und Politiker sind nur noch bedingt befähigt, übergreifend Identität zu stiften.

Viele gehen verloren für die Stadtgesellschaft

Wer geht dabei verloren für die Stadtgesellschaft? Menschen, die teilweise vereinzelt leben, teilweise mit anderen durch ihre Interessen verbunden sind, allerdings über die Esslinger Stadtgrenzen hinaus, oft in globalen Zusammenhängen. Menschen, die gleichzeitig in unterschiedlichen Kulturkreisen leben. Menschen, die neue Lebensformen ausprobieren. Menschen, die sich von der Boomergeneration an die Wand gedrückt fühlen. Menschen, die einfach nur arm sind und denen gleichzeitig auch noch zu wenig Bildung zuteil wurde. Auch diese Menschen haben etwas gemeinsam: Von den mächtigen lokalen Netzwerken sind sie abgekoppelt.

Parteipolitisch betrachtet ist das ein riesiges Wählerpotenzial. Aber der Wahlkampf hat sie nicht erreicht. Manche von ihnen wussten nicht einmal, dass am Sonntag eine Wahl anstand.