Der amerikanische Präsident Obama spricht an diesem Dienstag bei der Trauerfeier der ermordeten Polizisten. Keine leichte Aufgabe: In Amerika geht die Angst um vor einer tiefen Spaltung der Gesellschaft.

Washington - Es klang fast verzweifelt, als sich jetzt John Lewis in den Streit um Polizeigewalt und Gewalt gegen Polizisten einschaltete. „Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir in die Geschichte zurückrutschen“, sagte der inzwischen 76 Jahre alte Bürgerrechtler und Abgeordnete: „Die Narben und Schmutzflecken des Rassismus sind tief in der amerikanischen Gesellschaft eingelagert. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.“

 

Lewis weiß, wovon er spricht. Er war selbst ein Opfer von Polizeiübergriffen. Damals, in den 1960er Jahren, als Gewaltausbrüche die Forderungen der Schwarzen nach Gleichbehandlung begleiteten.

Das Unruhejahr 1968

Nach den tödlichen Schüssen von Polizisten auf Schwarze in Baton Rouge und St. Paul, nach den Morden an fünf Beamten in Dallas ist Amerika erschüttert. Und angesichts der Demonstrationen und Verhaftungen in vielen Städten des Landes ist die Sorge vor einer Wiederkehr des Unruhejahres 1968 weit verbreitet. Nach der Ermordung von Martin Luther King brannten damals ganze Straßenzüge, wurden ganze Viertel in Schutt und Asche gelegt. Kommt das jetzt wieder, fragen sich viele Amerikaner. Wiederholt sich – die Proteste gegen den Vietnam-Krieg abgezogen - die Geschichte?

Auf diese Frage gibt es noch keine befriedigende Antwort. Einen Wendepunkt stellen die Ereignisse der vergangenen Woche aber allemal dar. Unklar ist nur, wohin die amerikanische Gesellschaft driften wird. Gibt es einen Dialog oder kommt es zu einer Eskalation?

US-Präsident Barack Obama hat in den vergangenen Tagen versucht, die Emotionen nicht überkochen zu lassen. Weder seien die tödlichen Schüsse auf Alton Sterling und Philando Castile ein Beleg dafür, dass die Polizei in den USA grundsätzlich und absichtlich aus rassistischen Motiven heraus vorgehe, noch sei der Mörder der fünf Polizisten in Dallas repräsentativ für die afro-amerikanische Bevölkerung. Obama sagte: „Ich glaube fest daran, dass Amerika nicht so gespalten ist, wie es manche darstellen.“

Schwierige Rede für Obama

Ähnliche Worte wird der erste schwarze Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten auch am Dienstag finden müssen, wenn er an der Trauerfeier für die ermordeten Polizisten in Dallas teilnimmt. Es wird eine der schwierigsten Reden in Obamas Amtszeit. Der Präsident musste der Nation zwar in der Vergangenheit schon regelmäßig Trost spenden. Schließlich sind Massenschießereien wie in Dallas oder in Orlando oder in San Bernardino oder in Charleston in einem Land, in dem es mehr Waffen als Menschen gibt, inzwischen Teil des Alltags geworden. Auch tödliche Übergriffe von Polizisten auf Afro-Amerikaner und die Tatsache, dass diese Beamten oftmals nicht verurteilt werden, sind nichts Neues. Neu ist hingegen das zeitliche Zusammenfallen beider Phänomene. Die Kombination scheint gefährlicher zu sein als das Einzelereignis.

An Obamas Seite wird in Dallas, so heißt es aus dem Weißen Haus, ausgerechnet der ehemalige Präsident George W. Bush stehen. Er wird ebenfalls versuchen, den Amerikanern die Sorge vor einer Wiederkehr des Jahres 1968 zu nehmen. Der Auftritt des Doppelpacks aus Amtsinhaber und Amtsvorgänger belegt, wie ernst die Lage gesehen wird.

Amerika sitzt auf einem Pulverfass

Denn die Anspannung ist groß, und die Bewertungen sind sehr unterschiedlich. Da sagt der Chef einer Lobbygruppe der Polizei unverhohlen: „Was wir erleben, ist ein Krieg gegen die Cops.“ Obama, sagt er weiter, sei in diesem Krieg der Neville Chamberlain, also jener britische Premierminister, dessen Beschwichtigungspolitik Hitler nicht stoppen konnte. Da rufen aber auch radikale, afro-amerikanische Gruppierungen unverhohlen dazu auf, Polizisten zu töten. Und da wirft der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani der Bewegung „Black lives matter“ vor, sie selbst sei rassistisch, weil sie die Belange der Afro-Amerikaner in den Vordergrund stelle. Die Amerikaner sitzen auf einem Pulverfass, dass sie sich selbst in den Keller gestellt haben.

Vertrauen zurückgeben

Bemerkenswert ist, dass Obama die einzige politische Führungspersönlichkeit zu sein scheint, die es schaffen kann, die Lage wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen und den Amerikanern ein gewisses Maß an Vertrauen in den eigenen Staat zurückzugeben. Obamas Möchtegern-Nachfolgern dürfte das nur schwer gelingen.

Hillary Clinton erklärte zwar nach den Morden von Dallas, die weißen Amerikaner müssten lernen zu verstehen, wie sich Afro-Amerikaner Tag für Tag fühlten. Doch die mutmaßliche Präsidentschaftskandidatin der Demokraten hat Umfragen zufolge das Problem, dass sie viele Wählerinnen und Wähler nicht für glaubwürdig halten. Und der Populist Donald Trump, der sich in der kommenden Woche von den Republikanern zum offiziellen Präsidentschaftsbewerber ausrufen lassen will, hielt sich zwar in einer ersten Reaktion nach den Todesschüssen von Dallas noch auffallend zurück. Doch inzwischen hat er zu alter Form zurückgefunden. Er macht Obama und seine frühere Außenministerin Clinton für die Spaltung des Landes verantwortlich.