Bei der Einführung in seine zweite Amtszeit stimmt Barack Obama die Amerikaner auf harte Zeiten ein – auch, indem er in seiner Antrittsrede auf Poesie verzichtet und Klartext spricht.

Washington - Mit dem öffentlichen Vortragen von Eidesformeln hat es Barack Obama offenbar nicht. Als er am Montagmittag vor dem Kapitol in Washington seinen Amtseid leistet und dabei auf ein Meer aus US-Fahnen blickt, die Hunderttausende in die Höhe recken, verhaspelt er sich ein wenig. Wie schon 2009, als die erste Amtszeit des ersten schwarzen US-Präsidenten begann. Doch der kleine Versprecher ist bald vergessen im Donner der Salutschüsse, in den „Obama-Obama“-Rufen. Die größte Party des Jahres hat soeben ihren zeremoniellen Höhepunkt erfahren. Obama hat den Eid abgelegt. Er umfasst nur 35 Worte. Doch etwa 800 000 Menschen vor dem Kapitol wollen hören, was der 51 Jahre alte Präsident wirklich zu sagen hat.

 

Antrittsreden in den USA, sagt der Washingtoner Politikwissenschaftler Michael Cornfield, seien in der Regel wie Poesie. Für Ansagen im prosaischen Stil sei immer noch Mitte Februar Zeit, wenn der Präsident im Kongress die traditionelle Rede zur Lage der Nation halte. Doch gleich zu Beginn seiner zweiten Amtszeit bricht Obama mit dieser Tradition. Er spricht Klartext. Er stimmt die Amerikaner auf harte Zeiten ein. Es gelte, die Staatsverschuldung zu senken und ein finanzierbares Gesundheitssystem zu erhalten. Es gelte, die Demokratie von Asien bis Afrika, vom amerikanischen Kontinent bis hin zum Nahen Osten zu fördern. Obama mahnt gleiche Chancen für alle an, ob sie Männer oder Frauen sind, Hetero- oder Homosexuelle, Einwanderer oder Einheimische. Obama klingt, als lese er die Überschriften aus seinem politischen Programm für die nächsten vier Jahre vor.

„Ein quasi-religiöser Feiertag“

Ganz ohne patriotischen Schwulst geht es aber auch nicht. Da ist Obama nicht anders als die 43 US-Präsidenten vor ihm. Also betont er die Bedeutung von Freiheit und Gleichheit. Darin liege die Stärke Amerikas. „Das, was unsere Nation zusammenhält, ist nicht unsere Hautfarbe, nicht unser Glaube oder die Herkunft unserer Namen“, sagt Obama. „Was uns auszeichnet, was uns zu Amerikanern macht, ist unsere Loyalität einer Idee gegenüber, die vor mehr als zwei Jahrhunderten in einer Erklärung niedergeschrieben wurde.“

Die Menschen vor dem Kapitol jubeln, denn sie hören, was sie hören wollen. „Das ist ein quasi-religiöser Feiertag bei uns“, erklärt Wissenschaftler Cornfield: „Wir sind eine Nation von Extrovertierten. Wir lieben den Glamour und unsere Paraden. Wir sind irgendwie Exhibitionisten.“

Schon seit Tagen ist Washington in Feierstimmung. Der Festzug, der am Mittag auf der Pennsylvania Avenue startet, ist 2,5 Kilometer lang. Am Abend finden Bälle statt. Kurz nach der Eidesformel schmettert Sängerin Beyoncé die US-Hymne. Sie macht das ähnlich eindrucksvoll wie Aretha Franklin bei der ersten Amtseinführung Obamas 2009. Tausende singen mit. In den Zeitungen ist die neue Frisur von First Lady Michelle Obama mindestens genauso wichtig wie die jüngste Entwicklung im syrischen Bürgerkrieg. Nein: wichtiger.

Waffengesetze verschärfen

Anders als vor vier Jahren ist die Grundstimmung dieses Mal aber nachdenklicher, stiller. Das hängt mit dem Amoklauf von Newtown zusammen, bei dem im Dezember 20 Schulkinder getötet wurden. Das hat Obama mitgenommen. Schon wenige Tage nach dem Massaker hatte er angekündigt, nicht zu ruhen, bis die laxen Waffengesetze im Land verschärft seien. In seiner Rede bekräftigt er diese Absicht: „Unsere Reise ist nicht abgeschlossen, bis alle unsere Kinder wissen, dass sie immer vor Gefahr bewahrt werden“. Doch die Waffenlobby hält dagegen. Auf Dutzenden Demonstrationen protestieren ihre Anhänger am Wochenende gegen die Pläne des Präsidenten.

An diesem Montag sind die Obama-Anhänger allerdings in der Mehrzahl. Irgendwo in der jubelnden Menge steht Martha Davis. Auf dem Kopf trägt sie eine blaue Strickmütze mit dem „Yes, we can“-Slogan aus dem Wahljahr 2008. Ihr T-Shirt, das unter dem langen Mantel erkennbar ist, ist übersät mit Obama-Porträts. Die Frau in ihren frühen Siebzigern hat sich schon am Wochenende einen Platz vor dem Kapitol gesucht. Sie sagt: „Man muss schon wissen, wie wir als Schwarze in den USA vor 50 Jahren gelebt haben.“ Erst dann würden die jungen Leute verstehen, warum sie den weiten Weg von ihrem Heimatstaat Georgia nach Washington auf sich genommen habe: 660 Meilen, gut zehn Stunden im Auto. „Einer von uns ist Präsident, das ist der Grund“, sagt Martha Davis: „Ich will ihn sehen. Er ist ein guter Mensch.“