Die Zahl der von Obdachlosigkeit bedrohten Menschen ist auch in Stuttgart stark gestiegen. Immer mehr Menschen leben in Sozialpensionen. Das ist für die Kinder der Familien ungünstig.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - In den zurückliegenden Haushaltsberatungen stimmte die Ratsmehrheit für einen Antrag der Grünen zur Schaffung von zwei zusätzlichen Stellen für Sozialarbeiter. Diese sollen sich um die wachsende Zahl von Menschen kümmern, die wegen drohender Obdachlosigkeit in einer Sozialpension untergebracht sind. Inzwischen sind es laut Stadt 439 Haushalte mit 777 Personen in 29 Sozialpensionen, darunter 239 Kinder. Sie leben in sehr engen und durch das Umfeld prekären Verhältnisse. In den günstigen Hotels, mit denen die Stadt Belegungsvereinbarungen hat, gibt es zwar gemeinschaftliche Kochgelegenheiten, die Familien leben aber in einem Zimmer. Die Probleme der Menschen dort sind vielfältig. In den vergangenen Jahren hat sich diese Gruppe mehr als verdoppelt, zwischen 2013 und 2016 lag das Plus bei 128 Prozent. Weil in Stuttgart der Mangel an günstigem Wohnraum so groß ist, bleiben viele Familien sogar länger als ein Jahr in solchen Unterkünften.

 

Häufig handle es sich um Menschen aus Ost- oder Südeuropa, die aus anderen Teilen der Republik zugezogen seien, dann aber Arbeit und Wohnung verloren hätten, sagt Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne). Bis jetzt gebe es für diese Menschen „so gut wie keine Sozialarbeit“. Gegenüber den vielen Kindern, die in den Sozialpensionen leben, hält der Sozialbürgermeister dies für „unverantwortlich“. Die Kinder müssten „aus dem Alleinsein und aus der Nichtbeachtung rauskommen“, sagt Wölfle. Eben dafür sind die beiden Sozialarbeiterstellen gedacht. Zu den vielfältigen Aufgaben der neuen Kräfte wird gehören, mindestens 25 ehrenamtliche Helfer zu gewinnen, welche die Familien und die Kinder begleiten.

Fürsorgeunterkünfte zu 99 Prozent ausgelastet

Diese Entwicklung macht noch ein weiteres Problem deutlich: den wachsenden Mangel an städtischen Fürsorgeunterkünften. Von diesen gibt es derzeit rund 450, in denen fast 1200 Menschen leben. Die Wohnungen sind Personen aus Stuttgart vorbehalten, die aus ihren Wohnungen zwangsgeräumt werden – Alleinerziehende und Paare mit minderjährigen Kindern, aber auch ältere und schwerbehinderte Menschen. Nahezu 200 dieser Wohnungen befinden sich in größeren Zweckbauten, etwa 250 dagegen im Streubesitz der Landeshauptstadt.

Dieser Wohnungsbestand, der sich besser als Sozialpensionen für Familien mit Kindern eignet, erweist sich mehr und mehr als zu gering. Die Auslastung liegt derzeit bei 99,17 Prozent. Dabei steigen die vom Amt für öffentliche Ordnung gemeldeten Räumungstermine. Im Jahr 2015 sind es 117 gewesen, bis November dieses Jahres schon 131. So konnten laut Verwaltung in diesem Jahr zwölf Familien nicht in eine Fürsorgewohnung einquartiert werden, wozu die Stadt im Zuge der ordnungsrechtlichen Unterbringung aber verpflichtet ist. Stattdessen müssen auch diese Familien in für die Stadt ohnehin teuren Sozialpensionen.

Suchlauf wie für Flüchtlingsuntekünfte gefordert

„Wir bräuchten zehn bis 15 Wohnungen mehr“, sagt Sozialbürgermeister Werner Wölfle. Dabei schweben ihm keine großen neuen Zweckbauten vor, Gettobildung will man vermeiden. Von dieser Art von Unterkünften gebe es einige in der Stadt, die nicht nur zu groß, sondern auch in einem sehr schlechten Zustand seien. Zunächst hat man im Sozialreferat deshalb gehofft, den einen oder anderen für die Flüchtlingsunterbringung errichten Systembau nutzen zu können. Doch diese Idee ist passé. Weil jedem Flüchtling künftig sieben Quadratmeter Fläche zustehen sollen, werden auch in Zukunft alle Gebäude gebraucht.

Doch dem Sozialbürgermeister schwebt vor, dass man künftig für neue Standorte von Fürsorgeunterkünften „die gleichen Suchläufe“ unternimmt wie für Flüchtlingsheime. Die Wohlfahrtsverbände hätten gefordert, dass auch für diese Gruppe von Bedürftigen „die gleichen Anstrengungen“ unternommen werden wie für Asylsuchende, merkt er an. Und Gebäude von der Art der Systembauten eigneten sich auch als Fürsorgeunterkünfte, findet Werner Wölfle.

Stadt Karlsruhe als Vorbild

Doch der Sozialbürgermeister plant noch ein anderes Modell, um Wohnraum im niedrigen Preissegment und Interimswohnungen zu gewinnen – „um die Menschen aus unserer ordnungsrechtlichen Unterbringung herauszukriegen“. Wie die Stadt Karlsruhe will er privaten Wohnungseigentümern oder Genossenschaften, die Angst haben vor möglicherweise schwierigen Mitverhältnissen, das Risiko abnehmen und ihnen Sicherheiten bieten. Etwa indem sich die Stadt um die Mieter kümmert und gegebenenfalls auch Renovierungskosten übernimmt. Aber das kostet Geld.

„Wir müssen uns neue Instrumente ausdenken“, betont Werner Wölfle. „Der Druck ist da. Wir könnten tausend wohnfähige Menschen sofort vermitteln.“ Bis zum Frühjahr soll er einen Vorschlag machen, das ist der Auftrag des Gemeinderats.