Zurzeit lässt die Deutsche Bahn rund 250 der streng geschützten Reptilien auf der künftigen Baustelle für die Schnellbahntrasse Stuttgart-Ulm einsammeln und umsiedeln. Pro Tier kostet der Umzug einen vierstelligen Betrag.

Oberboihingen - Zauneidechsen, die sich in diesen Tagen entlang der Bahnstrecke in Oberboihingen für ein wärmendes Sonnenbad aus ihrem Versteck wagen, könnten unversehens eine um ihren Hals gelegte Schlinge verspüren. Doch keine Angst, den Tierchen geht es keinesfalls an den Kragen. Ihnen steht lediglich ein Umzug bevor. Denn zurzeit lässt die Deutsche Bahn rund 250 der streng geschützten Reptilien im Bereich zwischen Wendlingen und Kirchheim-Jesingen an der geplanten ICE-Trasse zwischen Stuttgart und Ulm einsammeln und in eigens dafür angelegte neue Schutzräume entlang der künftigen Schnellbahnstrecke umsiedeln. Damit erfüllt der Konzern die strengen Richtlinen des Natur- und Artenschutzes.

 

Kleine hauchdünne Schlinge

Hätten die Zauneidechsen, die an der künftigen Wendlinger Kurve leben, auch nur die leiseste Ahnung von dem riesigen medialen Interesse an ihrer Spezies, sie würden sich bestimmt nicht so rar machen an diesem Dienstagnachmittag. Denn zahlreiche Zeitungsvertreter, Agenturen sowie Fernseh- und Radiosender haben sich dort eingefunden, wo künftig die alte an die neue Trasse angebunden wird. Sie wollen über die von der Bahn in Auftrag gegebene Umsiedlungsaktion berichten. Darüber, dass die wegen der gefährdeten Eidechsenart erforderliche Änderung des Planfeststellungsbeschluss den Baubeginn um rund 18 Monate verzögert hat. Oder darüber, dass die Umsiedlung samt der vorausgegangenen Datierungen, Gutachten, Dokumentationen und der Schaffung neuer Lebensräume 2000 bis 4000 Euro pro Kriechtier kostet.

Da ist es natürlich nicht minder interessant, wie die – bis dahin nur fünf – Zauneidechsen in die bereit stehenden Umzugsterrarien gekommen sind. Dafür haben die Mitarbeiter des von der Bahn beauftragten Mannheimer Umweltplanungsbüros Baader Konzept gesorgt. Einer von ihnen ist der Geoökologe Peter Böhm. Er geht zurzeit gemeinsam mit Kollegen auf Eidechsenjagd. Mit einer Art Teleskop-Angelrute, an deren Ende eine kleine hauchdünne, sich selbst zuziehende Schlinge befestigt ist, lauert er den Tieren an deren Lieblingsorten wie Holzstapel, Büsche oder Schotterhaufen auf. „Geduld, eine ruhige Hand und viel Übung“, seien beim Eidechsen-Angeln gefragt, erklärt Böhm. Und die Chefabsammlerin Sandra Panienka fügt an, es sei ein „sanfter, aber bestimmter Druck“ nötig, um die flinken Gesellen mittels Schlinge oder mit der bloßen Hand einzufangen und wohlbehalten in die mit Holz und Moos ausstaffierten Transportboxen zu setzen.

Die landläufige Meinung, wonach die Tiere ihren Häschern durch den Abwurf des Schwanzes zu entkommen versuchten, treffe bei Zauneidechsen nur bedingt zu, erklärt Panienka. Diesen Abwehrmechanismus machten sich hauptsächlich Mauereidechsen oder ganz junge Tiere zu eigen.

Freilich verursachten die Änderung des Planfeststellungsbeschlusses und die Umsiedlungsaktion einen „heftigen Zeitverzug“, sagt Jörg Hamann, der Sprecher für das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm. Aber die Bahn habe sich an geltendes Recht und Gesetz zu halten, auch wenn „das aufwendig ist und Kosten verursacht“.

Ungestörtes Sonnenbad

Nach der Erteilung des Planfeststellungsbeschlusses im März 2015 sei eine Änderung desselben notwendig geworden, weil Gutachter eine deutlich größere Eidechsenpopulation ausgemacht hätten, als ursprünglich angenommen. Die Tiere hätten eben die „Angewohnheit“, sich zu vermehren oder andere Lebensräume zu suchen, erklärt Hamann. So sei die Zahl der im Baufeld des Planfeststellungsabschnitts „Albvorland“ zwischen Wendlingen und Kirchheim vorkommenden Zauneidechsen schließlich auf rund 250 taxiert worden. Davon sind laut der Bahn seit Anfang April etwa 200 eingesammelt und in ihr etwa zehn Kilometer entferntes neues Zuhause bei Kirchheim gebracht worden. Dort können sie sich nach ihrem unfreiwilligen Umzug ungestört dem Sonnenbad hingeben.

Teure Umsiedlungsaktion

Gesamtkosten
Um das Projekt Stuttgart 21 und die Schnellbahntrasse Stuttgart-Ulm umsetzen zu können, muss die Deutsche Bahn tausende streng geschützte Eidechsen umsiedeln. Insgesamt kostet das nach Angaben des Unternehmens rund 15 Millionen Euro. Neben den etwa 250 Zauneidechsen entlang eines Abschnitts der geplanten ICE-Trasse müssen bei Stuttgart-Untertürkheim mehr als 6000 Mauereidechsen eingesammelt und in neue Lebensräume gebracht werden.

Zauneidechse
Die Bestände der Zauneidechse werden vor allem durch die Rekultivierung von sogenanntem Ödland, die Wiederbewirtschaftung von Brachen, die Rodung von Randstreifen und Böschungen, eine intensive Landwirtschaft sowie durch Straßen- und Siedlungsbau dezimiert. Deshalb steht sie auf der Roten Liste gefährdeter Arten und ist streng geschützt.