Schuster will nicht noch einmal als OB-Kandidat antreten. Jetzt suchen alle Parteien fieberhaft nach Bewerbern – und nach Erfolg versprechenden Strategien.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart - Im Oktober wählt Stuttgarts Bürgerschaft einen neuen Oberbürgermeister oder eine neue Oberbürgermeisterin. Die Parteien in der Landeshauptstadt sind dabei, sich für diesen wegweisenden Urnengang zu rüsten – und rechtzeitig Koalitionen zu schmieden. Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung haben Emissäre der Grünen und der Sozialdemokraten schon vor vielen Wochen inoffiziell auf verschiedenen Ebenen ausgelotet, ob gemeinsame Sache gemacht werden kann. Ziel sei es diesmal jedenfalls, so der SPD-Kreisvorsitzende Dejan Perc, einen Rathauschef mit einem CDU-Parteibuch zu verhindern.

 

Schusters Rückzug

Seit dem Montag vergangener Woche sind die Vorzeichen für die Oberbürgermeisterwahl andere als davor: Amtsinhaber Wolfgang Schuster (CDU), der das größte Rathaus des Landes seit 1997 führt, wird zur Überraschung aller Fraktionen im Rathaus und aller Parteien in der Stadt nicht mehr antreten. Und das hat die kommunalpolitische Ausgangslage schlagartig fundamental verändert. Nicht nur, dass die Christdemokraten binnen weniger Monate einen Spitzenkandidaten erst aufbauen müssen; auch für die Konkurrenz von SPD und Grünen stehen nun plötzlich bei der Suche nach geeigneten Bewerbern neue Überlegungen im Raum. Denn mit Schuster ist ihnen ein Kontrahent abhandengekommen, der wegen seiner Stuttgart-21-Politik umstritten ist und da wohl Angriffsfläche geboten hätte. Jetzt werden die Karten anders gemischt.

Auch bei den Parteien standen dabei im ersten Moment eine ganze Reihe an personellen Spekulationen im Vordergrund, wer denn wohl geeignete Bewerber für den zweitwichtigsten politischen Posten im Land nach dem Regierungschef sein könnten. Bis jetzt eher unbeachtet, sind die führenden Funktionäre freilich längst dabei, ihre strategischen Überlegungen für den Urnengang im Herbst zu präzisieren. Und da spielen nicht zuletzt mögliche Bündnisse eine Rolle. Denn aus eigener Kraft und allein mit dem Potenzial seiner eigenen Partei, wird – das zeigt die politische Farbenlehre in Stuttgart – kein Bewerber wirklich reüssieren können.

Die Ausgangslage

Es hat Zeiten gegeben, da waren Oberbürgermeisterwahlen in der Landeshauptstadt eine eindeutige Angelegenheit. Arnulf Klett, Stuttgarts erstes Stadtoberhaupt nach dem Zweiten Weltkrieg, und Manfred Rommel erhielten beim Stimmenfang stets klare Mehrheiten. Zwar setzte sich Rommel bei seiner ersten Kandidatur 1974 erst im zweiten Wahlgang gegen Peter Conradi (SPD) durch – erzielte dann aber immer fast schon sozialistische Ergebnisse. Bei seiner Bewerbung um die dritte Amtszeit etwa brachte er es auf mehr als 70 Prozent, während Rezzo Schlauch (Grüne) sich mit 20 Prozent zufriedengeben musste. Die SPD hatte angesichts der Rommel’schen Beliebtheit erst gar keinen eigenen Bewerber aufgestellt.

Rommels politischer Ziehsohn Wolfgang Schuster hatte es in diesem Punkt deutlich schwerer. Sowohl bei der OB-Wahl 1996 als auch bei der OB-Wahl 2004 setzte sich der Christdemokrat in allerdings starken Bewerberfeldern erst in der zweiten Runde durch, weil er die im ersten Wahlgang erforderliche absolute Mehrheit von 50 Prozent der Stimmen nicht erzielt hatte. In der entscheidenden Stichwahl zwei Wochen später reichte es dann jeweils knapp: 1996 mit 43,1 Prozent der Stimmen, weil Rezzo Schlauch (39,3 Prozent) und SPD-Mann Rainer Brechtken (13,5 Prozent) sich Konkurrenz machten; 2004 mit 53,3 Prozent der Stimmen, weil Boris Palmer (Grüne) nach dem ersten Wahlgang zurückzog und eine, wenn auch indirekte, Empfehlung für Schuster statt für die SPD-Bewerberin Ute Kumpf (45,2 Prozent) abgab. Zugespitzt lässt sich sagen, dass Schuster beide Male der lachende Dritte war.

Neue Strategien

Grüne und SPD wollen diesmal erklärtermaßen die alten Fehler nicht wiederholen. Zwar kann es sich keine der beiden Parteien leisten, auf einen eigenen Kandidaten von vornherein zu verzichten – so das Ergebnis von informellen Gesprächen schon im Herbst vergangenen Jahres. Eine gemeinsame Strategie zumindest für den zu erwartenden zweiten Wahlgang ist aber eine ernsthafte Option. „Ich setze darauf, dass die grün-rote Koalition im Land eine beflügelnde Wirkung hat und wir uns in Stuttgart darauf verständigen können, dass Grün-Rot vor einem zweiten Wahlgang den schwächeren Kandidaten zurückzieht“, hat dieser Tage der grüne Kreischef Philipp Franke im Interview mit der Stuttgarter Zeitung geäußert. Ähnliche Töne kommen von den Genossen. „Es gibt eine Tendenz, dass sich Grüne und SPD gegenseitig unterstützen, falls es einen zweiten Wahlgang gibt“, so die Ratsfraktionschefin Roswitha Blind. Diese Überlegungen haben übrigens möglicherweise Auswirkungen auf das Personaltableau. Denn der grüne Boris Palmer ist seit seiner Wahlempfehlung für OB Schuster für viele Sozialdemokraten „regelrecht ein rotes Tuch“, wie es bei den Genossen heißt.

Vor allem die Grünen stehen unter Druck, nach der Macht in Baden-Württemberg nun auch das Rathaus der Landeshauptstadt zu erobern. Genährt wird die Hoffnung durch die jüngsten Erfolge bei der Kommunalwahl 2009, als die Grünen zur stärksten Fraktion avancierten, und bei der Landtagswahl 2011, als die Grünen drei von vier Direktmandate eroberten.

Tatsächlich spielt auch und gerade bei einer Oberbürgermeisterwahl sehr viel stärker als bei anderen Wahlen die Persönlichkeit der Kandidaten eine Rolle. Und so werden die Christdemokraten Grün-Rot das Feld nicht kampflos überlassen – auch wenn der Amtsbonus jetzt fehlt. Die Bundestagswahl im Herbst 2009 hat angedeutet, dass ein christdemokratischer Bewerber Siegchancen hat. Der CDU-Kreischef Stefan Kaufmann selbst und Schusters frühere rechte Hand Karin Maag haben damals am Nesenbach die Direktmandate geholt. Und auch Schusters Wahlerfolge sind ein Beleg für die Durchsetzungskraft der Union – wenn sich nur die Partei geschlossen hinter einem Bewerber versammelt.

Unabhängig davon wird auch die CDU versuchen, Koalitionen zu zimmern, etwa mit der FDP und den Freien Wählern. Darüber hinaus jedoch muss es der Union gelingen, einen Bewerber zu finden, der, wie Kaufmann sagt, „eine Ausstrahlungskraft auch in jene Kreise hat, in denen wir uns mit der CDU in der Breite schwertun“.