Aber Neubaugebiete auszuweisen dauert. Diese Zeit haben die Ditzinger nicht.
Wenn es länger dauert, Wohnraum zu schaffen, dann liegt das nicht am Beharrungsvermögen des Gemeinderats, sondern daran, dass Neubaugebiete in unserem dicht besiedelten Raum ein extrem kompliziertes Vorhaben geworden sind.
Ein Beispiel?
Seit mehr als fünf Jahren planen wir das Gebiet Ob dem Korntaler Weg. Es dauert, weil es so kompliziert ist, bis man allen Bedürfnissen entsprochen hat. Sie sind umgeben von rechtlichen Restriktionen. Nehmen Sie das Beispiel Umwelt und Naturschutz. Finden Sie eine geschützte Art im Gebiet, hat diese Vorrang und der Mensch muss schauen, wo er bleibt. Oder denken Sie an die Ausgleichsflächen. Wir alle sagen, wir brauchen mehr Wohnungsbau, aber wenn wir ihn schaffen wollen, ist es, wie wenn wir durch Honig waten: Wir kommen weiter, aber es ist sehr, sehr mühsam.
Wie sieht die Lösung aus?
Auf viele rechtliche Rahmenbedingungen, wie Naturschutzrecht oder Brandschutzbestimmungen, haben wir Kommunen keinen Einfluss. Dazu kommt vermehrt die geringe Mitwirkungsbereitschaft von Eigentümern. Vielleicht drückt sich in diesem Zustand aus, dass die Menschen keine disruptiven Prozesse wünschen: Die Dinge müssen verändert werden.
Zurück zum Bedarf an neuem Wohnraum. Sie sagen, Neues müsse mit Vorhandenem kompatibel sein. Sie sind also davon überzeugt, dass Schöckingen idyllisch bleibt?
Ja, weil der Gemeinderat darauf achtet. Die Schlossstraße wird die Schlossstraße bleiben. Wir haben 25 000 Einwohner. Wenn wir viel Wohnraum schaffen, kommen 1200 dazu. Der gelegte Charakter in diesen 25 000 Einwohnern und deren Häusern ist dominant. Das Neue wird nicht den Gesamteindruck der Stadt verändern. Die Konversionsfläche am Industriegebiet in Schöckingen ist die höchstverdichtete, die wir in der ganzen Stadt haben. Dort wohnen 120 Personen pro Hektar; es sind nur 0,3 Hektar, also 36 Personen. Aber es ist eine hochverdichtete Fläche dazugekommen, ohne dass sie Probleme auslöst.
Weil sie am Rand liegt und man den Kern nicht tangiert hat.
Natürlich, kein Gemeinderat wird wollen, dass die Fachwerkallee abgerissen und mit Mehrfamilienhäusern besetzt wird.
Wem gehört die Stadt eher: denen die da sind, oder den Neubürgern?
Die Stadt gehört niemandem. Aber wir sind in einer Demokratie, und der Gemeinderat entscheidet, was er städtebaulich zulassen möchte. Das ist seine vornehmste Aufgabe. Darüber beantwortet sich die Frage, wie sich die Stadt verändert.
Sie verändert sich in dem Maße, wie der Rat Veränderungen zulässt.
Der Gemeinderat ist die Vertretung derer, die hier schon leben. Aber er muss auch zu Kenntnis nehmen, dass wir ein hochnachgefragter Standort sind und zusätzliche Fläche ausweisen müssen. In diesem Spannungsfeld müssen wir einen guten Kompromiss finden.
Beharrt der Gemeinderat da zu sehr?
Nein. Nehmen Sie das Bauvorhaben an der Ecke Gerlinger Straße und Privatstraße in der Kernstadt.
Dort entsteht ein Wohn- und Geschäftshaus mit etlichen Wohneinheiten.
Der Gemeinderat hat das Vorhaben ohne Bebauungsplan zugelassen. Hätte er ein ausgeprägtes Beharrungsvermögen, hätte er einen Bebauungsplan gemacht. Darin hätte er alles regeln und kleinteilig wieder aufbauen können. Es wäre aber eben erst am Sanktnimmerleinstag mit dem Bau begonnen worden.
Sie sind überzeugt, dass der Charakter eines Ortes erhalten bleibt, wie Sie am Beispiel Schöckingen aufzeigen. In der Kernstadt ist der Wandel zum Städtischen aber schon sichtbar. Es wird höher und verdichtet gebaut. Wann wird die Entwicklung wie in der Landeshauptstadt das Strohgäu einholen?
Sie hat uns schon eingeholt. Die Wohnungen, die in den geplanten Neubauten entstehen, sind keine 150 Quadratmeter mehr groß, weil sich das die Leute in Ditzingen nicht mehr leisten. Jene, die sich solche Luxuswohnungen leisten können, ziehen dann lieber gleich auf den Killesberg. Wir unterscheiden uns in Vielem nicht mehr von Teilen Stuttgarts.
Eine Stadt hat die Funktion Wohnraum zu stellen, Einzelhandel unterzubringen und Identität zu stiften . . .
. . . deshalb muss man Strukturveränderungen mit Augenmaß vornehmen und kann nicht einfach überall Hochhäuser bauen.
In der Markstraße wurde mit dem umstrittenen Geschäftshaus, in dem sich Rossmann befindet, eine solche Veränderung begonnen.
Die Marktstraße ist die Marktstraße. Markt heißt in der modernen Definition Einzelhandel. Markt kann heute nicht mehr in den Strukturen einer mittelalterlichen Dorfgemeinschaft funktionieren. Ich würde den Charakter der Straße verändern, wenn ich die Bebauung beibehielte. Dann hätten wir noch ein Museum, aber keinen Markt mehr.