Der Newcomer Martin Horn, parteilos und von der SPD unterstützt, hat die erste Runde im Kampf um den Rathausthron in Freiburg gewonnen. Der Amtsinhaber Dieter Salomon blieb mit 31,3 Prozent hinter ihm zurück. Nun gerät die Stichwahl am 6. Mai zu einem Krimi.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Freiburg - Ein politisches Erdbeben hat Freiburg erschüttert: Nicht der seit sechzehn Jahren amtierende Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne), sondern der Newcomer Martin Horn, parteilos und von der SPD unterstützt, hat die erste Runde im Kampf um den Rathausthron gewonnen. Horn, derzeit beurlaubter Europa-Koordinator im Rathaus von Sindelfingen im Kreis Böblingen, schaffte aus dem Stand heraus 34,7 Prozent, Salomon blieb mit 31,3 Prozent sogar noch in greifbarer Nähe der grün-alternativen Gemeinderätin Monika Stein, die 26,2 Prozent der abgegebenen Stimmen errang. Nun kommt es zur Stichwahl am 6. Mai.

 

„Das Ergebnis hat uns alle überrascht“, räumt Michael Wehner ein, der Leiter der der Landeszentrale für politische Bildung in Freiburg. „Es gibt eben bei kommunalen Wahlen keine Umfragen .“ Zumindest einen Fehler des Amtsinhabers kann Wehner aber aus hautnaher Erfahrung nachvollziehen: Salomons schroffe Zurückweisung des „Kandidat-O-Mats“, den die Landeszentrale vor der OB-Wahl zusammen mit Politikstudenten als Online-Orientierungshilfe installieren wollte. „Damit ist der Eindruck einer arroganten Attitüde verstärkt worden“, glaubt Wehner.

Martin Horn präsentiert sich als „neues Gesicht“

„Es gibt mittlerweile auf allen politischen Ebenen einen Anti-Establishment-Generalverdacht“, erklärt der Freiburger Wahlforscher und Politologe Ulrich Eith den überraschenden Erfolg eines unbekannten und kommunalpolitisch kaum erfahrenen Neulings. Horn, 33 Jahre alt, in der Pfalz als Sohn eines evangelischen Pfarrers geboren, habe das verbreitete Bedürfnis nach „einem neuen Gesicht“ gestillt. „Er hat es extrem gut geschafft, die Bürger auf der persönlichen Ebene anzusprechen“, hat Eith beobachtet. „Es gab keinen Richtungswahlkampf, keine inhaltlichen Kontroversen, es ging um die persönliche Wahrnehmung.“ Allerdings hat Horn auch diverse Unruheherde für sich nutzen können – zum Beispiel die selbst nach dem Bürgerentscheid fortlebende Ablehnung des Stadionneubaus im Westen oder den Protest gegen einen neuen Stadtteil auf Kosten der Landwirtschaft.

Damit war zu rechnen, dass jedoch eine mehr oder weniger reine „Personality-Show“ eine solche Wirkung erzielt, sei für Freiburg neu, findet Eith – und nicht unproblematisch, denn der Herausforderer habe sich an Faktenchecks vorbeigelächelt. Eine Methode, die weltweit in Mode gekommen ist, so wie das Schüren von Stimmungen im Internet. Eine vermeintliche Begeisterte auf Facebook entpuppte sich als Schwester des Kandidaten Horn. Die Fangemeinde störte sich daran nicht.

In Pforzheim und in Bölingen gab es zuletzt Abwahlen

Aber die Gründe für Salomons Desaster liegen tiefer. Der 57-Jährige zählt zu den bekanntesten Grünen im Südwesten. 2002 landete er einen überregional beachteten Coup und schaffte als erster Vertreter seiner Partei den Sprung an die Rathausspitze einer Großstadt. Er habe Freiburg im Sturm erobert, hieß es damals. Zeitweise wurde sogar spekuliert, er könne irgendwann Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) beerben. Die Wiederwahl also eine reine Formsache?

„Wenn sich der Amtsinhaber zu sicher fühlt, kann es schiefgehen“, warnt Paul Witt, Rektor der Hochschule für Verwaltung in Kehl, der „Bürgermeisterschmiede“ im Land. „Die Bürger wollen Identifikation und Projektion“, sagt Witt. Übersetzt heißt das, der Bürgermeister soll „einer von uns“ und zugleich ein entschlossener „Anführer“ sein. Wer zwischen diesen widerstrebenden Polen den goldenen Mittelweg finde, hat der Psychologe Siegfried Bäuerle herausgefunden, werde als erfolgreicher Bürgermeister in Erinnerung bleiben.

Und durchaus auch eine lange Amtszeit durchstehen können. Zwar gab es zuletzt zwei spektakuläre Abwahlen von Oberbürgermeistern – in Pforzheim im Mai 2017 und in Böblingen im Februar 2018. Aber das Risiko, nicht wiedergewählt zu werden, ist für Amtsträger insgesamt gering.

Salomon habe Stilfragen unterschätzt, heißt es

„Salomon kann immer noch gewinnen“, betont denn auch Maria Viethen, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Freiburger Gemeinderat. Salomon brauche dafür aber nicht nur mehr Unterstützung seiner Partei, sondern auch „eine andere Haltung“, meint Viethen. Er habe unterschätzt, wie wichtig auch „Stilfragen“ im Wahlkampf sind. „Wir werden die Präsenz verstärken und klarmachen, worum es wirklich geht“, erklärt Salomons Wahlkampfmanager Jan Otto. Nämlich: „Verantwortung für Freiburg“. Hilfe kommt aus der CDU, die keinen eigenen Kandidaten hat. „Verantwortung geht vor Gefälligkeit“, betont der Fraktionschef der Union im Gemeinderat. Partei und Fraktion sollten sich, so fordert es Wendelin Graf von Kageneck, „klar für Dieter Salomon aussprechen“.

Das große Fragezeichen steht hinter der grün-alternativen Kandidatur von Monika Stein, die das Zünglein an der Waage werden kann. „Es ist eine schwierige Entscheidung“, räumt sie ein. Sie werde mit ihrem Team darüber beraten und mit dem Erst- und Zeitplatzierten reden. Viel Zeit hat die Lehrerin nicht, denn bereits am Mittwoch um 18 Uhr läuft die Frist ab, in der sich zusätzlich neue Kandidaten für den zweiten Wahlgang melden oder bisherige Bewerber ihren Rückzug erklären können. Am 6. Mai reicht die einfache Mehrheit der Stimmen.