Die Familie Samol versteht nicht, warum sie ausziehen soll. Eine Posse an der Oberen Weinsteige.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Stuttgart-Degerloch - Ursula Samol will nicht ausziehen. Ihr gefällt die Altbauwohnung an der Oberen Weinsteige in Degerloch viel zu gut. Die sechs Zimmer sind ihr Traum, die Miete ist überschaubar. Ihr Mann hat einen begehbaren Kleiderschrank gezimmert, das Ehebett steht auf einem Podest, so dass Ursula Samol liegend zum Fenster rausschauen kann. „Das habe ich mir immer gewünscht“, sagt die 54-Jährige. Doch alle Investitionen waren umsonst, sagt sie. Das Haus wird abgerissen. Ursula Samol versteht nicht, wieso.

 

Das Gebäude, in dem Ursula Samol seit 2003 mit ihrem Mann und den zwei Söhnen wohnt, gehört der Landes-Bau-Genossenschaft Württemberg (LBG). Gleich nebenan steht ein weiteres LBG-Haus. Die Genossenschaft will die Gebäude durch neue ersetzen. Deshalb müssen die sechs Parteien bis Herbst 2014 ausziehen.

Neue Häuser sollen die Probleme mit dem Zugang lösen

In einem Schreiben an die Mieter vom Sommer 2012 erklärt die LBG den Abriss wie folgt: „Dabei war ein sehr wesentlicher Grund für unsere Entscheidung vor allem die unbefriedigende Zugangsmöglichkeit zum Grundstück.“ Die Häuser liegen im Zwickel von Weinsteige und Jahnstraße. Stellplätze für Autos fehlen. Und um ihr Zuhause zu Fuß zu erreichen, sind viele Mieter gern über einen Weg gelaufen, der von der Jahnstraße aus zu den LBG-Häusern führte. Das ist vorbei – denn der Weg ist jetzt eine Wiese. Eben deshalb sollen bald die Abrissbagger anrollen. Neue Häuser mit Tiefgarage sollen die Probleme mit dem Zugang und der Parkplatznot lösen.

Das Grundstück, auf dem sich der Weg befunden hatte, gehört seit 2010 der benachbarten Bezirksärztekammer. „Wir müssen die Haftung übernehmen, wenn jemand über den Weg läuft und etwas passiert“, sagt Armin Flohr, der Geschäftsführer. „Ich persönlich habe kein Problem damit, wenn jemand über das Grundstück läuft, aber ich muss es rein juristisch sehen.“ Und weil die Landes-Bau-Genossenschaft die Haftung nicht übernehmen wollte, habe die Bezirksärztekammer auf dem beliebten Fußweg Rasen einstreuen lassen. Was die LBG-Mieter nicht gehindert habe, auf der gewohnten Route abzukürzen. „Das ging sogar so weit, dass sie selbst mit Spaten, Schaufeln und Platten eine Treppe und einen Weg angelegt haben“, sagt Flohr. Die Kammer habe sich daraufhin bei der LBG beschwert.

Die LBG hilft bei der Suche nach einer Übergangsbleibe

Laut Josef Vogel sei der fehlende Weg zwar ausschlaggebend für den Neubau, aber eben nicht nur. „Es geht auch um den Zustand der Häuser“, sagt der kaufmännische Geschäftsführer der LBG. Künftig soll es an der Oberen Weinsteige 15 Wohnungen geben. Die größte wird vier Zimmer haben. Die derzeitigen Mieter würden die Wohnungen „wesentlich vergünstigt“ bekommen, so Vogel. Zudem helfe die LBG bei der Suche nach einer Übergangsbleibe.

Ursula Samol sagt, sie habe von der LBG bisher nur eine Drei-Zimmer-Wohnung angeboten bekommen. „Für vier Personen fand ich das frech.“ Sie ist auf die Genossenschaft eh nicht sonderlich gut zu sprechen. Das hat mit der Heizung zu tun. Als die Familie 2003 eingezogen ist, hat die LBG den Holz- und Kohleofen durch eine Gasheizung ersetzt. Daraufhin hat sich die Familie einen Gasherd, einen Beistellherd und einen Gasofen gekauft. 2007 waren die Geräte unbrauchbar, da die Genossenschaft in ihren Häusern eine Zentralheizung eingebaut hat. Und jetzt der Abriss. Ursula Samol sagt, sie komme da nicht mehr mit.

Vor sechs Jahren habe die LBG noch nicht an den Neubau gedacht, erklärt Josef Vogel indes. „Das war uns in der Art nicht bewusst“, sagt er. Jenen Fußweg habe die Ärztekammer ja erst später gekappt.