Ein Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht soll über eine Klage gegen die Mercedes-Bank entscheiden. Seine Freundschaft zu einem Daimler-Juristen behielt er für sich – bis unsere Zeitung dazu anfragte.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Welt ist klein und die Stadt noch viel kleiner. Wenn sich die Justiz – wie derzeit in Stuttgart – verstärkt mit der Autoindustrie beschäftigt, dann treffen immer wieder Bekannte aufeinander. Mal soll eine Richterin über die Diesel-Affäre verhandeln, deren Schwester als Führungskraft beim Zulieferkonzern Bosch arbeitet. Mal beschäftigen die Abgasmanipulationen eine Kollegin, deren Ehemann als Anwalt für den VW-Konzern tätig ist. Solche Konstellationen werden in der Regel offengelegt. In Zivilprozessen können die Parteien dann selbst entscheiden, ob sie einen Richter für befangen halten, also an seiner Unparteilichkeit zweifeln.

 

Zuweilen scheinen die Anzeigenden nicht böse zu sein, wenn sie sich auf diese Weise aus der komplexen Dieselthematik verabschieden können. Nun aber wird vom Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart ein Fall bekannt, in dem ein Vorsitzender Richter private Bezüge erst gar nicht offenlegte – und es dann doch nachholte. Hintergrund ist eine bundesweite Justizpremiere: erstmals in Deutschland wurde Ende Januar in Stuttgart über eine Musterfeststellungsklage verhandelt. Sie ermöglicht es Verbraucherschützern, stellvertretend für Betroffene gegen Unternehmen zu klagen. In Stuttgart ist es die Schutzgemeinschaft für Bankkunden, die gegen die Mercedes-Benz-Bank klagt. Vordergründig geht es um die Frage, ob eine Widerrufsklausel in Kreditverträgen gültig ist. Die Kläger bezweifeln dies und argumentieren, die Widerrufsfrist sei noch nicht abgelaufen. Ihr eigentliches Ziel aber ist, das Geschäft noch nach Jahren rückgängig zu machen. Ihre so finanzierten, inzwischen ungeliebten Dieselfahrzeuge hoffen sie dann zurückgeben zu können. Beim ersten Termin vor dem 6. Zivilsenat machte ihnen der Vorsitzende Oliver M. indes wenig Hoffnung, dass dieses Kalkül aufgeht. Der „Widerrufsjoker“ werde wohl nicht ziehen, es gehe „eben nicht um Diesel, Fahrverbote, Wertverluste oder so was“. Am Ende des Tages blieben erhebliche Zweifel, ob die Klage zulässig und begründet sei. Erst danach wurde unserer Zeitung bekannt, dass der Vorsitzende Richter einen persönlichen Bezug zu Daimler hat: Mit einem leitenden Juristen des Konzerns, zuständig für Fragen der technischen Compliance (Regeltreue), ist er eng befreundet. Schon mehrfach fuhren die Familien zusammen in den Urlaub. Entsprechende Informationen bestätigte ein OLG-Sprecher.

Familien fahren zusammen in Urlaub

„Für den Prozess nicht relevante Information“

Bisher habe der Vorsitzende dies nicht mitgeteilt, weil ihm eine Befangenheit „völlig fernliegend“ erschienen sei. Der Daimler-Jurist sei schließlich nur „einer von vielen leitenden Angestellten einer sehr großen Aktiengesellschaft“. Er sei weder Mitarbeiter der beklagten Bank noch mit dem Rechtsstreit um bankrechtliche Fragen befasst. Aus Sicht von M. handelte es sich mithin um eine „für den Prozess nicht relevante Information aus seinem Privatleben“.

Angesichts der StZ-Anfrage entschied sich M. nun aber, den Kontakt doch offenzulegen: „Zur Vermeidung von Irritationen“, so der Sprecher, habe er die Parteien „inzwischen davon in Kenntnis gesetzt“. Dort wurde die Nachricht mit Überraschung quittiert. Der Umstand sei „bisher nicht bekannt“ gewesen, sagte eine Sprecherin der Klägerkanzlei, man wolle ihn zunächst „nicht weiter bewerten“.