Oberlandesgericht Stuttgart Lidl-App: Nutzung kostenlos, hat aber einen Preis
Das Oberlandesgericht Stuttgart verhandelt eine Klage der Verbraucherzentrale Bundesverband gegen Lidl wegen der Irreführung von Kunden. Im Visier sind mehrere Discounter.
Das Oberlandesgericht Stuttgart verhandelt eine Klage der Verbraucherzentrale Bundesverband gegen Lidl wegen der Irreführung von Kunden. Im Visier sind mehrere Discounter.
Das erscheint verlockend: „Exklusive Rabatte und Highlights“, „Partnervorteile“, „Sofortgewinne“ und „Digitale Kassenbons“ – das und einiges mehr verspricht die Lidl-Plus-App. „Sparen ohne Ende“ eben. Die App könne „bequem und kostenlos im App-Store heruntergeladen werden“. Doch wer dies tut und in die Teilnahmebedingungen einwilligt, zahlt mit einer begehrten Ware: seinen persönlichen Daten.
Darauf weist Lidl jedoch, moniert der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV), weder vor Abschluss des Nutzungsvertrages in der App noch in den zugehörigen Nutzungsbedingungen ausreichend hin. Deshalb hat der Verband eine Unterlassungsklage gegen das Unternehmen vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart eingereicht.
„Da Lidl die Daten der Nutzer nach ihren Datenschutzhinweisen nicht ausschließlich zur Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten verarbeitet, müsste es sich an die vorvertraglichen Informationspflichten halten“, so die Rechtsreferentin Rosemarie Rodden. „Das bedeutet: Lidl muss Verbraucher über den Preis informieren, den sie für die Rabatte zahlen.“ In diesem Fall zahlten die Supermarktkunden mit ihren persönlichen Nutzerdaten.
Beim Verfahren vor dem OLG handele es sich um ein Pilotverfahren, so Rodden. Denn bislang sei die Frage der Informationspflichten bei Verträgen im Zusammenhang mit digitalen Bonusprogrammen, die Daten von Verbrauchern als Gegenleistung vorsehen, noch nicht ausreichend vor Gericht geklärt.
Nach früheren Unternehmensangaben nutzen gut 100 Millionen Kunden die Lidl-Plus- App. Wer von den Angeboten profitieren will, muss laut den knapp 20-seitigen Teilnahmebedingungen den Vornamen, die E-Mail-Adresse und die Mobilfunknummer angeben. Das Gericht wirft zunächst allgemeine Fragen auf: Gehen die meisten Verbraucher nicht ohnehin davon aus, dass ihre Daten weiterverarbeitet werden? Und werden die Teilnahmebedingungen nur angeklickt oder auch wahrgenommen? Zu entscheiden ist nun insbesondere, ob sich – wie von den Verbraucherschützern eingefordert – ein Gesamtpreis der Datenverwendung deklarieren lässt, der nicht in Geld besteht. Denn die Angaben stellen keinen konkreten Wert dar, sondern werden zur Optimierung von Werbemaßnahmen eingesetzt. Zudem: Darf man die Nutzung der App als kostenlos bezeichnen, weil sie kein Geld kostet, aber eine andere Gegenleistung erbracht wird?
Diverse Gesetze spielen in die komplexe Lage hinein. Deutlich wird, dass die Gesetzgeber sowohl in Deutschland als auch der EU die Problematik der Datennutzung für den Verbraucherschutz sehen, aber zentrale Rechtsfragen offen lassen. „Wir sind diejenigen, die es ausbaden sollen“, sagt der Vorsitzende Richter Oliver Mosthaf. Wegen der Grundsätzlichkeit des Falls werde das Gericht – gleichgültig, wie es entscheide – die Revision zum Bundesgerichtshof zulassen, der die Angelegenheit womöglich zum Europäischen Gerichtshof zur Auslegung einer EU-Richtlinie weiterreiche.
Das Oberlandesgericht tritt gewöhnlich als zweite Instanz in Aktion, sieht sich als Verbrauchersenat hier aber in erster Instanz gefordert – eine Besonderheit. Eine konkrete Positionierung in der Sache vermeidet das Gericht in der Verhandlung. Der kurze Versuch, eine gütliche Einigung herbeizuführen, scheitert insbesondere am Verbraucherverband. Somit wird eine Entscheidung für den 23. September angekündigt. Ein Lidl-Sprecher teilt auf Anfrage mit, „dass wir uns zu laufenden gerichtlichen Verfahren nicht äußern möchten“.
Erst vor drei Monaten hatte die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg (VZBW) einen juristischen Erfolg gegen Lidl errungen. In einem Werbeprospekt war der Preis eines Produkts ausschließlich für Nutzer der Lidl-Plus-App angegeben – weder der reguläre Preis noch ein Grundpreis waren erkennbar. Verbraucher müssten, verlangt die VZBW, auf einen Blick erkennen können, was ein Produkt kostet – ob mit oder ohne App. Vor dem Landgericht Heilbronn einigte man sich auf einen Vergleich. Demnach hat sich Lidl verpflichtet, in allen Prospekten deutlich den Gesamtpreis und den Grundpreis anzugeben, der für alle Käufer gilt.
Nicht nur Lidl, sondern mehrere Discounter sind mit ihren Apps im Visier der Verbraucherschützer – einige Verfahren sind vor Gericht anhängig, um mehr Transparenz einzufordern. Aktuell eingereicht wurde beispielsweise eine Klage gegen Netto. Den Angaben zufolge geht es auch hier um mangelnde Transparenz bei den Preisangaben für App-Nutzer und andere Kunden. Penny wurde vorige Woche nach einer VZBW-Klage vom Landgericht Köln verurteilt, Verbrauchern gegenüber nicht mehr mit dem Kauf von Lebensmitteln unter Angabe einer prozentualen Preisermäßigung sowie eines gestrichenen Preises zu werben, wenn sich beide Angaben nicht auf den niedrigsten Gesamtpreis der letzten 30 Tage beziehen.