Alle Fragen zum VW-Dieselskandal sollen in Braunschweig geklärt werden, in Stuttgart gibt es kein Musterverfahren dazu: Dieser Beschluss des Oberlandesgerichts stößt auf ein höchst unterschiedliches Echo.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Zufriedenheit bei der Porsche Automobil Holding SE, Unmut und Enttäuschung bei den betroffenen Aktionären – das sind die Reaktionen auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart, kein zweites Musterverfahren zum VW-Dieselskandal zuzulassen. Ein Sprecher des VW-Mehrheitsaktionärs begrüßte es, dass es neben dem laufenden Prozess um Volkswagen vor dem OLG Braunschweig kein Verfahren mit Fokus auf Porsche vor dem OLG Stuttgart geben werde. Damit werde eine einheitliche Behandlung der vielen Fragen rund um die Motormanipulationen gewährleistet. Zugleich würden „widersprüchliche Entscheidungen“ vermieden.

 

Der Klägeranwalt von der Frankfurter Kanzlei Nieding Barth, Andreas Lang, sprach hingegen von einem „Schlag ins Gesicht der Porsche-Aktionäre“. Das Gericht verweigere ihnen „sehenden Augen das Recht auf effektiven Rechtsschutz“. Die Kläger müssten nun den Ausgang des Musterverfahrens in Braunschweig abwarten, ehe sie die sie betreffenden Rechtsfragen vor Gericht klären lassen könnten. Bei den üblichen Verfahrensdauern sei die Gefahr groß, dass viele von ihnen „nicht einmal den Beginn ihres eigenen Prozesses erleben“, sagte Lang unserer Zeitung.

Vorstoß des Landgerichts erfolglos

In Stuttgart fordern Aktionäre vorwiegend der Porsche SE Ersatz für Kursverluste wegen angeblich verspäteter Informationen über die Folgen der Dieselaffäre; insgesamt geht es um knapp eine Milliarde Euro. In Braunschweig summieren sich die Forderungen von VW-Aktionären auf bis zu zehn Milliarden Euro. Dort läuft seit September vorigen Jahres ein Musterverfahren, bei dem spezielle Fragen zu Porsche jedoch ausgeklammert bleiben. VW und die Konzernmutter Porsche SE weisen die Ansprüche zurück.

Vor mehr als zwei Jahren hatte das Landgericht Stuttgart ein getrenntes Musterverfahren zu Porsche beantragt. Dies lehnte das OLG jetzt als unzulässig ab und bestätigte damit frühere Signale. Der Vorsitzende des zuständigen 20. Zivilsenats, Stefan Vatter, begründete dies damit, dass es in Stuttgart im Wesentlichen um den gleichen Sachverhalt ginge. Damit widersprach er der Einschätzung des Landgerichts, mit Blick auf Porsche stellten sich andere Fragen als bei VW. Es wollte klären lassen, ob der Mutterkonzern eigene Meldepflichten habe und ob das Wissen von VW-Managern mit Doppelfunktion auch der Porsche SE zuzurechnen wäre. Das Gesetz für Musterverfahren von Kapitalanlegern (KapMuG) bezwecke eine Bündelung und erlaube keine Parallelverfahren, erläuterte Vatter. Damit sollen sich widersprechende Entscheidungen und ein doppelter Aufwand vermieden werden. Auch wenn es um unterschiedliche Wertpapiere gehe, seien die Sach- und Rechtsfragen überwiegend identisch.

Beschwerde beim BGH zugelassen

Der Senat ließ es jedoch zu, dass die Entscheidung vom Bundesgerichtshof überprüft wird. Die Auslegung des Gesetzes sei nicht eindeutig, sagte Vatter dazu; verschiedene Punkte könne man auch „erheblich anders bewerten“. Bisher gebe es zu diesen Fragen noch keine höchstgerichtliche Entscheidung. Der Klägeranwalt Lang kündigte bereits an, man werde „auf jeden Fall“ vor den BGH ziehen. Andere Anwälte erwägen ebenfalls eine solche Beschwerde, prüfen aber noch.

Eine Musterverfahren zu Porsche in Stuttgart käme nach den Worten Vatters erst in Betracht, wenn der Braunschweiger Prozess rechtskräftig abgeschlossen ist und Fragen offen lasse; dies kann noch Jahre dauern. Die Richter dort haben es bereits abgelehnt, sich mit speziellen Aspekten zur Porsche SE zu befassen. Zudem ist derzeit völlig offen, welche Folgen es hat, wenn die Gesetzesgrundlage für Musterverfahren im Herbst 2020 ausläuft. Das Bundesjustizministerium hat sich dazu trotz des Drängens der Opposition noch nicht klar geäußert.