Die Nahversorgung der beiden Stadtteile fordert den Gemeinderat. Nun steht sogar die „sanfte Enteignung“ des Untertürkheimer Postareals zur Debatte.

Stuttgart - Beschwerden gegen städtische Mitarbeiter, der Kampf Bezirksbeirat gegen Bezirksbeirat und mehrere Änderungsanträge von Gemeinderatsfraktionen: wer glaubt, es gehe im Technikausschuss unter Punkt fünf am Dienstag nur um die Benennung von Preisrichtern für den Architektenwettbewerb zum Untertürkheimer Postareal, der irrt. Trotz Masterplans, gelobter Bürgerbeteiligung und einem „inklusiven“ Ansatz für die Ortsmitte, geht es vor allem um die Frage: „Will die Kommunalpolitik mit ihrem Ja zu Aldi die einzigen beiden Vollsortimentsanbieter in Unter- und Obertürkheim sehenden Auges Pleite gehen lassen? In einem Gutachten heißt es, den Discounter und die beiden von der Caritas-Tochter Markt & Service gGmbH betriebenen Märkte gleichzeitig am Markt zu haben, berge einen nicht auflösbaren Zielkonflikt. Schon bei zehn Prozent Umsatzverlust können die Cap-Märkte, in denen Menschen mit Behinderung arbeiten, nicht profitabel wirtschaften.

 

Untertürkheim würde ein Aus des Cap-Markts riskieren

Der Bezirksbeirat Untertürkheim würde es auf einen Versuch ankommen lassen, er erhofft sich eine Stärkung des durch eine verfehlte Standortpolitik herunter gekommenen Ortsmittelpunkts. Die Neuordnung des Postareals favorisiert er in Form eines Investorenprojekts mit einer zentralen Einzelhandelsfläche.

Eine Einmischung aus Obertürkheim in eigene Belange verbittet man sich. Der Nachbar leistet Widerstand, denn ohne seinen Cap-Markt hätte er keinen Vollsortimenter mehr, keinen Lieferanten für Mobilitätseingeschränkte und keinen gesellschaftlichen Treffpunkt. Weil das die Verwaltung in ihrer Vorlage nicht deutlich genug betont habe, fordert der Bezirksbeirat Konkretisierungen. Das wiederum hat die Kollegen in Untertürkheim veranlasst, den Gemeinderat aufzufordern, ihre Pro-Discounter-Planung nicht zu ignorieren. Dass Bezirksvorsteherin Dagmar Wenzel das Schreiben, in dem behauptet wurde, die Obertürkheimer hätten ihre Kompetenzen überschritten, an die Fraktionen versendet hat, brachte ihr eine Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Christoph Hofrichter schrieb an Bürgermeister Fabian Mayer (CDU), obwohl sie es besser wissen müsste, habe Wenzel „die unwahren Behauptungen“ weiter verbreitet, er habe mit seinen Kollegen die Beschlüsse der Untertürkheimer abändern wollen.

SPD muss Plakate einstampfen

Verärgert ist auch die SPD in Obertürkheim. Michael Jantzer kann seine Plakate einstampfen, auf denen er für ein Gespräch mit Markt & Service-Chef Gerhard Sohst sowie der Stadtteilmanagerin Mareike Merx zur Vor-Ort-Situation geworben hatte. Dass sie kurzfristig ihre Teilnahme abgesagt habe, sei „schlechter Stil und das Gegenteil von transparentem Verwaltungshandeln.“ Die Stadt erklärte, Merx habe nur zugesagt, allgemein über Nahversorgung zu sprechen. Eine schlüssige Begründung für die Absage lieferte sie nicht.

Jantzer hat im Bezirksbeirat Obertürkheim den Nachbarn empfohlen, das Postareal als „städtebauliche Entwicklungsmaßnahme“ zu realisieren. Die Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke-plus im Gemeinderat schließt sich dem damit verbundenen Erwerb des Areals von Aldi an. Einen Wiederverkauf hat der Discounter 2017 für denkbar erachtet. Die Grünen-Fraktion will die Einzelhandelsfläche auf 1100 Quadratmeter beschränken, 400 Quadratmeter weniger, als Aldi wünscht.

Für Christoph Ozasek (Linke) liefert sich die Stadt damit dem Investor aus. Dieser könnte nach der unvermeidlichen Schließung des Cap seine marktbeherrschende Stellung ausnützen, um seine Verkaufsflächen zu erweitern. Die SPD-Fraktion fordert, für alle Cap- und Bonus-Märkte politische Absichtserklärungen für deren Standortsicherung, die die Stadt ruhig auch Geld kosten könnten.