Er ist eine Vielfachbegabung, spielt Oboe, komponiert zeitgenössische Musik, dirigiert hochrangige Orchester: der Schweizer Komponist Heinz Holliger wird 80 Jahre alt – und ist auch den Stuttgarter Musikfreunden wohlbekannt.

Stuttgart - Musik, hat er einmal gesagt, sei für ihn „wie atmen“. Die volle Bedeutung dieser Aussage kann nur begreifen, wer weiß, dass Heinz Holliger, geboren am 21. Mai 1939 im schweizerischen Langenthal bei Bern, nicht nur Komponist und Dirigent, sondern auch ein Oboist ist, also mithilfe der Luft zu sprechen lernte. In Stuttgart hat man den freundlichen, ernsten, leisen Mann in all seinen Funktionen schon erleben können – besonders eindrucksvoll in den Konzerten, bei denen er am Pult des SWR-Vokalensembles eines seiner eigenen, klangschönen, dabei stets intellektuell tiefgründigen und musikalisch hoch komplexen Werke dirigierte. Zum Beispiel bei „Shir Shavur“, einem Zyklus über Gedichte von David Rokeah, bei dem der vielfach geteilte Chor vor allem auf der Basis gegeneinander verschobener, fein ausgehörter mikrotonaler Klangflächen das weite Feld des sängerisch Möglichen zwischen Sprechen und Singen, Ton und Geräusch, weiten Intervallsprüngen und jüdischem Kantorenton austastet. Oder bei der Vertonung von Paul Celans „Psalm“, wo Holliger auf wundersam kluge Weise das Nichtsagbare dialektisch in ein gesungenes Nichtsingbares umwendet. Die Musik Holligers umfasst alle Besetzungen und Themen – vom ersten Streichquartett, das ein langsames Sterben der Klänge zum Thema hat, über große Orchesterstücke bis hin zu seiner jüngsten, 2018 in Zürich uraufgeführten Oper „Lunea“. All diese Werke sind nicht nur das Ergebnis akribischer Detailarbeit, sondern fordert ebendiese auch von den Ausführenden ein, und sie tut dies auf eine Weise, welche die utopischen, also weit über das Machbare hinausgehenden Dimensionen des Komponierens spürbar werden.

 

Der Gesang steht dabei immer im Zentrum; auch sein Oboenspiel versteht Heinz Holliger als sprachloses Singen. Als Oboist hat er zahlreiche Werke zur Uraufführung gebracht, als Dirigent neben der zeitgenössischen Musik und vergessenen Werken einen großen Schwerpunkt bei Robert Schumann gesetzt, dessen sinfonisches Gesamtwerk er auf CD aufgenommen hat. „An die Grenze kommen“: Das, hat Holliger einmal gesagt, sei sein erster Antrieb. Für ihn selbst, den nun Achtzigjährigen, gilt das nicht. Was für ein Glück!