Jahrzehntelang sind Schüler an der Odenwaldschule missbraucht worden. Nun sollen die Ereignisse verfilmt werden. Doch darüber gibt es Streit, und zwar nicht zu knapp.

Stuttgart - Vor zwei Jahren ist ein Skandal zum Thema geworden, der bis heute Schlagzeilen macht: Jahrzehntelang sind Schüler an der Odenwaldschule missbraucht worden. Nun sollen die Ereignisse verfilmt werden. Benedikt Röskau, bekannt geworden durch das preisgekrönte Fernsehspiel „Contergan“, arbeitet an einem Drehbuch, das Christoph Röhl für den WDR verfilmen soll – Röhl hat bereits einen Dokumentarfilm dazu gedreht. Der Produzent Stefan Raiser entwickelt zudem mit seiner Firma Dreamtool Entertainment einen Kinofilm, der sich auf das Buch von Jürgen Dehmers stützen wird.

 

So weit ist der Vorgang normal. Weniger normal ist, dass die Ereignisse, um die es geht, zweitrangig zu werden scheinen, weil plötzlich die Projekte selbst Aufsehen erregen. Begriffe wie „geistige Kriminalität“ fallen, eine Seite wirft der anderen vor, es werde mit „zwei Zungen“ geredet. Einer der Beteiligten fühlt sich wie „im Zentrum des Wahnsinns“. Die mittlerweile sehr polemisch geführte Auseinandersetzung begann vor einigen Wochen, als beide Parteien ihre Pläne dem Verein Glasbrechen vorgestellt haben, einer Vereinigung ehemaliger Odenwaldschüler, die Opfer des Missbrauchs waren.

Das Archetypische der Ereignisse herausarbeiten

Der Drehbuchautor Benedikt Röskau erläuterte, dass man keine Einzelbiografie eines Betroffenen verfilmen wolle, sondern einen Themenfilm plane: Mittels Fiktionalisierung solle das Archetypische der Ereignisse herausgearbeitet werden. Das stößt allerdings auf Widerstand. Laut Andreas Huckele, Mitglied von Glasbrechen, gebe es Vorbehalte gegen diese Fiktionalisierung. Das Konkurrenzunternehmen hingegen, Raisers Kinofilm auf Basis der tatsächlichen Ereignisse, passe „exakt zu unserer Agenda und hat uns überzeugt“.

Für Außenstehende stellt sich die Frage, warum der Verein nicht beide Vorhaben begrüßt. Huckele sagt: „Die Apothekerweisheit ,Viel hilft viel‘ wird von der Mehrheit der Vereinsmitglieder nicht geteilt.“ Der Vorsitzende des Vereins, Adrian Koerfer, sieht das jedoch ganz anders: „Es kann gar nicht genug Medienprojekte geben, die sich mit den beispiellosen Verbrechen an der Odenwaldschule beschäftigen.“

An die Opfer denken

Dass Huckele in Medienberichten mit den Worten zitiert wird, die Präsentation des WDR-Projekts sei eine „erbärmliche Vorstellung“ gewesen, hat Koerfer deshalb nicht gefallen. Er hat sich beim Sender entschuldigt. Beim WDR findet man es laut Barbara Buhl, Leiterin Fernsehfilm und Kino, ohnehin „ärgerlich, dass es jetzt schon Auseinandersetzungen über den Stoff gibt – es ist ja nicht mal sicher, ob wir den Film drehen werden. Die Situation ist absurd.“ Ohnehin glaubt sie, dass auch der Filmproduzent Raiser Partner in der ARD finden könnte, wenn sich die Machart seines Werks von der Machart ihres Projekts unterscheide.

Der Produzent geht allerdings davon aus, sein Projekt auch ohne Sender stemmen zu können: „Wir haben einen starken Weltvertrieb. Ein TV-Partner ist für einen schmal budgetierten Kinofilm, wie er uns vorschwebt, nicht notwendig.“ Dass eine parallel entstehende Fernsehproduktion die Auswertungschancen seines Kinofilms schmälern könnte, interessiert Raiser nicht: „Ich denke bei diesem Filmvorhaben nicht in Kategorien wie Marktchancen oder Kommerzialität.“ Für den Dreamtool-Chef steht die Frage im Vordergrund, was den Opfern diene und was nicht: „Es darf nicht sein, dass ein Filmteam aufs Schulgelände reitet, sein Ding durchzieht, verbrannte Erde hinterlässt und sich die Opfer danach benutzter vorkommen als je zuvor.“

Damit ist allerdings auch bei dem WDR-Projekt nicht zu rechnen. Der Regisseur Christoph Röhl genießt für sein bisheriges Engagement ebenso große Anerkennung wie der Drehbuchautor Benedikt Röskau, der mit „Contergan“, wie er sagt, „einer großen Zahl resignierter Opfer zu neuem Mut und zu Aktivität verholfen“ hat.