Mit leichten Fluggeräten wollen Ingenieure die kräftigen und stetigen Höhenwinde zur Erzeugung von kostengünstigem Ökostrom nutzen. Auch die EnBW setzt auf diese Technik.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Hamburg - Über dem flachen Gelände weht ein frischer Wind. Ein guter Tag zum Drachen-steigen-Lassen. Rasch gewinnt das rot-weiß gestreifte Fluggerät an Höhe. Der Drachen bewegt sich dabei hin und her und malt liegende Achten in den Himmel. Bald ist er nur noch als Farbklecks zu erkennen. Dann hat er den höchsten Punkt erreicht und bewegt sich wieder nach unten, weil die Leine eingezogen wird.

 

Der Drachen, der da am norddeutschen Himmel seine Bahnen zieht, ist kein Spielzeug für windige Herbsttage. Er gehört zu einer Flugwindkraftanlage der Hamburger Firma Skysails. Das Prinzip: Wenn der Wind den Drachen in die Höhe treibt, entsteht ein Zug an dem Seil, das ihn hält. Dadurch wird die Seiltrommel in der Bodenstation in Rotation versetzt. Koppelt man die Seiltrommel mit einem Generator, erzeugt dieser während des Steigflugs Strom.

Ist das Seil ganz abgespult, wird der Drachen so positioniert, dass er dem Wind wenig Widerstand bietet. Dann wird er wieder abwärts gezogen, wobei der Generator als Motor arbeitet. Die Energie für das Einholen des Drachens liefert eine Batterie, die einen Teil des erzeugten Stroms speichert. Dann beginnt mit dem nächsten Steigflug ein neuer Zyklus. So pendelt der Drachen – gesteuert von einer speziellen Software – ständig zwischen dem höchsten und niedrigsten Punkt seiner Bahn hin und her.

Drachenbau mit Omas Nähmaschine

Die Kraft des Windes hat Stephan Wrage schon in seiner Jugend fasziniert, wenn er am Strand Drachen steigen ließ. „Zusammen mit einem Freund habe ich um die 150 Drachen selber gebaut. Den Stoff haben wir auf Omas alter Pfaff-Nähmaschine zusammengenäht“, erinnert sich der Gründer und Geschäftsführer von Skysails. Nun will Wrage diese Kraft nutzen, um kostengünstig sauberen Strom zu erzeugen. Der erste Schritt dorthin ist das oben beschriebene Funktionsmodell, das zu Test- und Demonstrationszwecken dient. Der Drachen ist mit 30 Quadratmetern etwa so groß wie ein Gleitschirm. In dem Container, der als Bodenstation dient, steckt ein Generator mit 50 Kilowatt. Zum Vergleich: In modernen Windparks leisten die Generatoren bis zu fünf Megawatt – also das Hundertfache.

Künftige Flugwindkraftanlagen sollen aber weit höhere Leistungen erreichen als die Versuchsanlage von Skysails, die in einem Video auf der Firmen-Homepage in Aktion zu sehen ist. Das Potenzial der Technologie sei gewaltig, meint Wrage: „In größeren Höhen weht der Wind stärker und gleichmäßiger als in tieferen Luftschichten.“ Der Drachen einer Flugwindkraftanlage könne 800 Meter hoch steigen, bevor er wieder auf rund 300 Meter herunterzogen wird. Die größten Windräder messen vom Boden bis zur Rotorspitze deutlich über 200 Meter, was Landschafts- und Naturschützern oder Anwohnern oft schon zu viel ist.

„Flugwindkraftanlagen brauchen keine hohen Masten und beeinträchtigen das Landschaftsbild nicht“, sagt Wrage. Wegen der großen Flughöhe sei auch der Schattenwurf der Drachen kaum wahrnehmbar. Zudem sei die Geräuschentwicklung sehr gering, weil sich die Fluggeräte langsamer bewegen als die Rotorblätter von Windrädern. „Wir erwarten in der Bevölkerung deshalb eine deutlich höhere Akzeptanz als bei Windrädern“, so Wrage.

Auch bei schwachem Wind viele Volllaststunden

Der aus Sicht der Energiewirtschaft wohl wichtigste Vorteil ist aber die hohe Verfügbarkeit, welche die fliegenden Kraftwerke versprechen. „Je nach Bedingungen sind im Jahr 4000 bis mehr als 5000 Volllaststunden möglich“, erläutert Wrage. Im besten Fall laufen die Anlagen also in rund 60 Prozent der 8760 Stunden eines Jahres mit maximaler Leistung. Die besten Offshore-Windparks kommen auf rund 4500 Volllaststunden.

An weniger windsicheren Standorten im Binnenland, wie sie etwa auch in Baden-Württemberg anzutreffen sind, werden dagegen teilweise nur 1500 Volllaststunden erreicht. In solchen Gebieten hält Wrage die Nutzung des stetiger wehenden Höhenwinds für besonders sinnvoll, um eine gleichmäßigere Stromproduktion zu erreichen. Dann müssten die Versorger nicht mehr so viele teure Reservekraftwerke vorhalten, um Flauten zu überbrücken. Auf der anderen Seite sollen Flugwindkraftwerke auch besser mit Stürmen zurechtkommen. Ist der Wind zu stark, wird der Drachen eingeholt und in der Bodenstation verstaut.

Die Technologie von Skysails hat auch das Interesse des Energiekonzerns EnBW geweckt. Beide Unternehmen sind mit weiteren Partnern an dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt Skypower 100 beteiligt. Sie wollen bis 2020 eine vollautomatische Flugwindkraftanlage mit einer Leistung von 100 Kilowatt entwickeln und testen. Das System soll autonom arbeiten – also den Drachen selbsttätig starten, landen und verstauen können. Mithilfe der Erkenntnisse aus dem Projekt wollen die Beteiligten sich dann an größere Anlagen mit Leistungen von einem Megawatt (1000 Kilowatt) und mehr heranwagen, die nicht nur an Land, sondern auch auf hoher See Strom erzeugen.

Mit Schiffsantrieben fing es an

Grundsätzliche technische Probleme sieht Wrage dabei nicht. Skysails hat schon Erfahrung mit der Nutzung von Höhenwind als Schiffsantrieb. „Dabei haben wir es heute schon mit Leistungen von bis zu zwei Megawatt zu tun“, sagt der Unternehmer. Die bis zu 400 Quadratmeter großen Zugdrachen werden vor Frachtschiffe gespannt und entlasten deren Motoren. Die Folge ist ein bis zu 15 Prozent geringerer Spritverbrauch. Mit der Nachfrage nach Schiffsdrachen ist Wrage aber nicht zufrieden. Zum einen stecke die weltweite Schifffahrt immer noch in einer Krise. Zum anderen hätten viele Reeder angesichts relativ niedriger Ölpreise keine große Motivation, in spritsparende Technik zu investieren.

Auf der Suche nach einem weiteren Standbein kam Wrage bald auf die Energiebranche. „Für einen Drachen spielt es keine Rolle, ob er ein Schiff zieht oder einen Generator antreibt“, sagt er. Die Systeme für Schiffe und zur Stromerzeugung seien sich sehr ähnlich – abgesehen von der Bodenstation, die bei einem Flugwindkraftwerk aufwendiger ist. Neben Skysails arbeiten weitere Unternehmen an Flugwindkraftwerken – so etwa Enerkite aus Brandenburg oder der niederländische Konkurrent Ampyx, der statt Drachen leichte Segelflugzeuge an die Leine legt.

Aus der Kooperation von Skysails und EnBW soll nach Wrages Plänen auch ein marktfähiges Flugwindkraftwerk der 100-Kilowatt-Klasse hervorgehen. Solche Anlagen seien besonders interessant für Entwicklungs- und Schwellenländer – etwa um Siedlungen mit Strom zu versorgen, die nicht am Netz hängen. Es gebe aber auch Interessenten im Inland. Und wenn das Kunststoffseil doch einmal reißen sollte? Dann verhalte sich der Drachen ähnlich wie ein Gleitschirm, sagt Wrage. „Die Steuerungsautomatik könnte dann kontrolliert die Landung einleiten.“ Bei den ersten Einsätzen wollen die Entwickler aber ganz auf Nummer sicher gehen: Solange der Drachen fliegt, wird die darunterliegende Fläche für Menschen und Fahrzeuge gesperrt.

Vielversprechende Technik

Kosten Flugwindkraftanlagen sind längst nicht so materialintensiv wie ein Windpark. Sie brauchen weder aufwendige Fundamente noch hohe Masten aus Stahl und Beton. Das senkt die Investitionskosten und verbessert die Ökobilanz. Trotz etwas höherer Betriebskosten (der Drachen muss ab und zu ersetzt werden) erwartet die EnBW eine bessere Wirtschaftlichkeit als bei Windrädern. Skysails-Chef Stephan Wrage hält Kosten von vier Cent pro Kilowattstunde für realistisch. Windparks an Land liegen je nach Standort zwischen vier und gut acht Cent.

Einsatzgebiete Flugwindkraftwerke sind sowohl an Land als auch im Meer nutzbar – dort auch bei größeren Wassertiefen, weil sie keine aufwendigen Fundamente im Meeresboden brauchen. Bis die Technik möglicherweise kommerziell eingesetzt wird, dürfte aber noch einige Zeit vergehen. Bei der Kooperation mit Skysails handele es sich um ein Forschungsprojekt, betont die EnBW.