Neue EU-Regeln erlauben Industrierabatte. Mögliche Rückzahlungen sind keine ernste Gefahr für die Industrie.

Brüssel - Joaquín Almunia hat eine lange politische Reise hinter sich, seit seine EU-Wettbewerbsbehörde vor zwei Jahren an neuen Beihilferegeln für den Energiesektor zu arbeiten begann. Als der Spanier sie am Mittwoch vorstellte, berichtete er von 5000 Stellungnahmen, die ihn erreicht hätten. Dass die der Bundesregierung seine Position maßgeblich beeinflusst hat, sagte der EU-Kommissar nicht. Wirklich entkräften konnte er diesen Vorwurf einer französischen Journalistin nicht. So bemühte Almunia auf der Suche nach Differenzen mit Berlin nur die Vergangenheit und erinnerte daran, „dass auch die Bundesregierung im Herbst nicht allzu glücklich darüber war, dass wir neue Beihilferegeln vorbereiteten“. Dass die große Koalition nun kein schlechtes Wort mehr darüber verliert, zeigt, wie weit ihr Almunia entgegengekommen ist.

 

Das fängt mit dem grundsätzlichen Zugeständnis an, dass die Industrie in Zukunft indirekt Staatsbeihilfen kassieren darf, indem sie im Gegensatz zu privaten Verbrauchern beispielsweise keine Ökostrom-Umlage zahlen muss. Die Entlastungen für zuletzt mehr als 2000 Unternehmen in Höhe von insgesamt gut fünf Milliarden Euro waren der Anlass für die EU-Kommission gewesen, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten. Nun definiert das neue Regelwerk, an dem sich die EU-Kommission als oberste Wettbewerbsbehörde bei Beihilfeentscheidungen nach dem 1. Juli diesen Jahres orientieren wird, offiziell 68 energieintensive Branchen, die von Umweltsteuern oder Ökoabgaben nur 15 Prozent zahlen müssen. Noch Ende vergangener Woche war in damals kursierenden Entwürfen von mindestens 20 Prozent die Rede gewesen.

„Mitgliedstaaten können dieser Liste zusätzlich einzelne Unternehmen hinzufügen“, berichtete Almunia zudem. Voraussetzung ist nur, dass es besonders viel Strom verbraucht oder besonders stark im globalen Wettbewerb steht. Die zu zahlenden Beträge sind für alle Unternehmen bei vier beziehungsweise 0,5 Prozent der sogenannten Bruttowertschöpfung gedeckelt – je nachdem, wie energieintensiv ihr Betrieb genau ist.

Der Grünen-Europaabgeordnete Claude Turmes kritisierte, Almunia führe „ein neues Prinzip der EU-Politik ein: je mehr du die Umwelt zerstörst, umso mehr Geld kriegst du vom Staat“, das zudem vor Gericht möglicherweise nicht standhalten werde. Der Luxemburger nannte es zudem „besonders störend“, dass „diese überzogenen Ausnahmen ohne Gegenleistung der Industrie“ kämen. Almunia entgegnete, dass die EU-Kommission im Sommer Vorschläge zum Energiesparen auch in der Wirtschaft unterbreiten werde.

Eine abschließende Klärung der Frage, ob die schon gewährte Rabatte für die Jahre 2012 und 2013 von der deutschen Industrie zurückgezahlt werden müssen, steht aus Sicht der Bundesregierung noch aus. Die Gespräche dazu seien auf einem guten Weg, sagte ein EU-Diplomat.

So kündigte Kommissar Almunia an, dass das neue Regelwerk auch bei der Bewertung bereits laufender Beihilfeverfahren zur Anwendung kommen wird – also auch bei den großzügigen Ausnahmetatbeständen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Das bedeutet, dass für die beanstandeten Jahre 2012 und 2013 ebenfalls die Branchenregelung samt den Obergrenzen herangezogen wird. Zwar droht Almunia noch der Form halber damit, dass „nicht mit den neuen Regeln vereinbare Beihilfen zurückgezahlt werden müssen“, in der Praxis aber dürfte das keine große Rolle mehr spielen. „Selbst bei einer möglichen Rückförderung werden die Beträge so minimal ausfallen, dass daran kein Unternehmen zugrunde gehen wird“, sagt ein ranghoher Kommissionsbeamter dazu.

Über die Neuausrichtung der Förderung erneuerbarer Energie, die ab 2017 an die günstigsten Anbieter versteigert werden muss, hatte es schon länger keinen Dissens zwischen Brüssel und Berlin mehr gegeben. Hier lagen Almunias Regeln und der Entwurf von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) schon früh auf einer Linie. In der Übergangsjahren 2015 und 2016 müssen solche Auktionen getestet werden. Schritt für Schritt sollen auch feste Tarife für die Einspeisung von Ökostrom ins Netz durch eine Zulage auf den Marktpreis ersetzt werden. Ausnahmen gibt es für Wind- und Solarparks, die Privatleuten oder Genossenschaften gehören und nur geringere Mengen Strom produzieren. „Kleinere Anlagen müssen vor den Kräften des Marktes geschützt werden, etwa durch feste Einspeisetarife“, sagte Almunia.

Der FDP-Europaabgeordnete Holger Krahmer kritisierte diese Ausnahmen: „Die Kommission will, dass sich Erneuerbare am Markt bewähren müssen. Das wäre richtig, aber auf Druck der Mitgliedstaaten wurden die Leitlinien der Kommission abgeschwächt.“ Die Grünen-Abgeordnete Rebecca Harms rügte die Versteigerungen dagegen generell: „Das Modell hat sich schon in mehreren Ländern als ineffizientes Bürokratiemonster erwiesen. Es würgt Bürgerprojekte ab.“ Und auch ihr SPD-Kollege Bernd Lange sagte, man solle an den „besonders erfolgreichen Einspeisesystemen“ festhalten, „da sie die Entwicklung vielfältiger Technologien ermöglicht haben“.

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