Die Koalition einigt sich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf Nachbesserungen bei der Ökostromumlage. Die Opposition spricht von einer Entmachtung des Parlaments. Die Industrie und private Stromeinspeiser profitieren von der Neuregelung.

Berlin - Als am Dienstagmorgen um acht Uhr der Wirtschaftsausschuss im Bundestag zusammenkam, konnte der Vorsitzende Peter Ramsauer (CSU) noch nicht viel sagen. Die Details der nächtlichen Einigung über Änderungen am Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) war zu dieser Stunde nur zu einigen ausgewählten Koalitionsabgeordneten durchgedrungen. Nicht nur die Opposition ist aufgebracht. Wegen des engen Zeitplans beim EEG-Gesetz sollte der Wirtschaftsausschuss bis Dienstagabend die Reform beschließen. Zuvor wurden die Fraktionen informiert, denn das Gesetz soll am Freitag im Bundestag verabschiedet werden. Am Vormittag ging den Parlamentariern 200 Seiten mit den von der Regierung verhandelten Änderungen zu. „Ich habe gerade mal ein paar Stunden Zeit, um das zu prüfen“, sagte die Linke-Abgeordnete Eva Bulling-Schröter. Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter spricht von einem dreisten Verfahren. „So kann man mit dem Parlament nicht umgehen.“ Auch der frühere Verkehrsminister Ramsauer ist sauer: Der Ausschussvorsitzende will von den Berichterstattern zum Gesetz eine Erklärung verlangen, ob sie ausreichend Zeit zur Prüfung hatten, sagte Ramsauer der Stuttgarter Zeitung. Die Ankündigung des Koalitionärs verrät Unbehagen. Ramsauer will sich später nicht nachsagen lassen, der Ausschuss habe die Wünsche der Regierung durchgewinkt.

 

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion ändern Union und SPD wichtige Einzelheiten des Gesetzes. Das geschieht unter großem Zeitdruck, da die Reform am 1. August in Kraft treten soll. Andernfalls erhielten die Unternehmen nicht mehr rechtzeitig zum Jahresende die Ausnahmebescheide, was zu Konkursen führen könne, warnte der CDU-Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs. Wie bei der Eurorettung müsse es schnell gehen. Der knappe Zeitplan wird auch damit begründet, dass die EU-Kommission in letzter Minute neue Vorgaben machte. Berlin ist darüber verärgert. „Die Freude über das Verhalten der EU-Kommission hält sich sehr in Grenzen“, sagte der SPD-Wirtschaftspolitiker Hubertus Heil. Die Bundesregierung ist auf eine Verständigung mit Brüssel angewiesen, denn EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia hat ein Beihilfeverfahren gegen das EEG eingeleitet. Aus diesem Grund wurde jeder Schritt mit Brüssel abgestimmt. Es sind aber nicht nur die Brüsseler Beamten, die zu Verzögerungen beitrugen, auch die Sonderwünsche der CSU hielten die Koalition auf. Die Differenzen mussten die Koalitionsspitzen bei einer Unterredung am Montagabend im Kanzleramt ausräumen. Nicht nur für die Wirtschaft, auch für die privaten Solaranbieter steht bei der Reform viel auf dem Spiel:

Hausbesitzer

Hausbesitzer

Entgegen ursprünglichen Überlegungen müssen Hausbesitzer mit Solaranlagen auf dem Dach die EEG-Umlage von zurzeit 6,24 Cent je Kilowattstunde nicht zahlen. Bürger, die bis zu zehn Kilowatt Strom zum Eigenverbrauch erzeugen, fallen unter die Bagatellgrenze. Damit solle bürokratischer Aufwand vermieden werden, heißt es in der Koalition. In diesem Punkt kommen Union und SPD auch den Ländern entgegen, die Anfang Juli im Bundesrat über die EEG-Novelle entscheiden. Nach mühsamen Verhandlungen mit Brüssel will die Koalition am EEG-Gesetz nichts mehr ändern.

Industrie

Industrie

Freuen kann sich auch die Industrie. Viele Unternehmen aus der Chemie- oder Stahlbranche haben in der Vergangenheit auf den Werksgeländen eigene Kraftwerke gebaut, um ihre Maschinen mit selbst produziertem Strom zu betreiben. Die bestehenden Anlagen zur Eigenversorgung werden nach dem Beschluss der Koalition künftig nicht mit der EEG-Umlage belastet. Das ist ein wichtiges Entgegenkommen. Es soll sogar möglich sein, bestehende Anlagen um 30 Prozent zu erweitern, ohne dass die Ökostromumlage fällig wird. Weil die EU-Kommission dieses Zugeständnis kritisch sieht, wird eine Prüfklausel ins Gesetz aufgenommen: 2017 sollen die Erfahrungen mit dieser Regelung ausgewertet werden. In den Erläuterungen der Koalition heißt es, zu diesem Zeitpunkt soll es einen Vorschlag für eine Neuregelung geben. Der SPD-Abgeordnete Heil versichert aber: Die Regelung bleibe auf Dauer bestehen.

Neue Kraftwerke

Neue Kraftwerke

Betriebe, die neue Kraftwerke für den eigenen Stromverbrauch bauen, müssen von 2017 an 40 Prozent oder knapp 2,5 Cent je Kilowattstunde an EEG-Abgabe bezahlen. Dieser Satz steigt schrittweise; 2015 beträgt er 30 Prozent der Umlage, 2016 dann 35 Prozent der Umlage. Diese Werte gelten aber nur für neue Anlagen, die mit erneuerbaren Energien oder mit Kraft-Wärme-Kopplung betrieben werden. Dabei dürfte es sich um den Großteil der Kraftwerke handeln. Die übrigen Neuanlagen müssen die volle EEG-Umlage zahlen.

Ausnahmen

Ausnahmen

Nachdem sich die Regierung mit der EU-Kommission darauf verständigte, dass energieintensive Industrieunternehmen weiterhin zum größten Teil von der EEG-Umlage befreit sind, kommt es in einem Punkt zu einer Verschärfung. Bisher war vorgesehen, dass die Betriebe, welche die neuen Kriterien für die Ausnahmeregelung nicht erfüllen, künftig ein Fünftel der Ökostromumlage zahlen. Die Unternehmen müssen jetzt mehr berappen. Anfangs zahlen sie 20 Prozent, danach aber die volle EEG-Umlage. Nach Auskunft aus der Koalition seien davon 20 bis 30 Unternehmen in Deutschland betroffen, auf die massive Kostensteigerungen zukommen.

Streit mit Brüssel

Streit mit Brüssel

In einem Punkt konnte sich Deutschland nicht mit Brüssel einigen: Die EU verlangt, importieren Strom aus dem Ausland von der EEG-Umlage auszunehmen. Das lehnt Berlin strikt ab. Wenn ausländische Stromimporte begünstigt werden, würde dies die deutsche Ökostromförderung sprengen, sagte Heil.

Reaktionen

Reaktionen

Die deutsche Solarindustrie, die einen Nachfrage-Einbruch erwartet, will wegen der Änderungen vor das Verfassungsgericht ziehen. Sie kritisiert die Belastungen des Eigenverbrauchs. Der Industrieverband BDI bemängelte, dass die Regeln für den Eigenverbrauch 2017 geprüft werden.