Der Heim- und Kurseelsorger Matthias Eidt hat beim ökumenischen Abend über Burnout gesprochen.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

S-Süd - Kennen Sie das? Sie stehen morgens an der Tür und wollen los, doch ihr Kind streikt. Eigentlich sollten sie es schon längst im Kindergarten abgegeben haben, um pünktlich im Geschäft sein zu können. Wenn Sie später an Ihrem Schreibtisch sitzen, schreiben Sie gedanklich schon den Einkaufszettel und beim Einkaufen denken Sie bereits über das Kochen des Abendessens nach.

 

„Das ist das Phänomen der Hetze. Man ist nicht dort, wo man sein sollte, sondern im Kopf immer schon einen Schritt weiter“, erklärte Pfarrer Matthias Eidt bei der ersten Veranstaltung der ökumenischen Reihe der katholischen und evangelischen Gemeinde Kaltental. Eidt ist Heim- und Kurseelsorger an der Celenus-Klinik in Schömberg bei Calw. Er hat Namen für solche Phänomene, die dazu führen, dass sich viele Menschen immer häufiger erschöpft und leer fühlen.

Zum Beispiel das Hase- und Igel-Spiel. Bei diesem kommt man stets zu spät, obwohl man sich anstrengt und die Geschwindigkeit stetig steigert. Oder das Hamsterrad, das sich immer schneller und schneller dreht, und doch kommt der Hamster nicht von der Stelle. „Dieses Gefühl kann aufkommen, wenn der Schreibtisch nicht mehr leer wird oder man am Ende des Hausputzes das Gefühl hat, wieder von vorne anfangen zu können.“

“Ein Zeiterleben, wo man sich aufgefressen fühlt“

Und es gibt noch den Zeitkoffer. „Chefs wollen in diesen gern ganz viel reinpacken. Die Mitarbeiter stopfen und quetschen, um alle aufgetragenen Arbeiten in dem vorgegeben Zeitrahmen zu schaffen“, sagte Eidt. Doch oft kämen die Mitarbeiter zu dem Ergebnis, dass das einfach nicht gehe. „Viele nehmen das als eigenes Versagen wahr“, sagte Eidt.

Der Seelsorger hat für diese Phänomene den Oberbegriff „Kronos-Zeit“ kreiert. Benannt nach Kronos, jener Gestalt aus der griechischen Mythologie, die seine eigenen Kinder auffraß aus Angst, entmachtet zu werden. In manchen Überlieferungen wird Kronos auch mit Chronos gleichgesetzt, dem griechischen Gott der Zeit. Für Eidt ist Kronos-Zeit ein „Zeiterleben, wo man sich aufgefressen fühlt“, in der es nur noch um das Funktionieren geht. Die Kronos-Zeit gehe oft einher mit Imperativen und Befehlen. „Sie kennen das“, sagte Eidt „wenn die Küche geputzt werden muss und laut schreit: Du Pottsau.“

Damit machte Eidt auch deutlich, dass man oft selbst derjenige ist, der Druck ausübt. Doch das war einigen Zuhörern zu einfach. „Es mag sein, dass viele Schalter in uns selbst liegen“, sagte die Pfarrerin Mirja Küenzlen. Doch es sei auch unsere Gesellschaft, die permanent mehr Leistung verlange. Das lasse sich freilich nicht wegdiskutieren, antwortete Eidt. Und dennoch müsse jeder einzelne dagegen ankämpfen. „Dann komme ich doch vom Regen in die Traufe. Denn das ist doch auch wieder Stress“, warf ein junger Mann ein. „Aber wenn sie den Kampf hin und wieder gewinnen, kann das auch Spaß machen“, antwortete Eidt. Küenzlen resümierte: „Man muss lernen, auch mit Unfertigem zu leben.“

Das Thema Burnout hat auch eine theologische Dimension

Matthias Eidt plädierte dafür, der Kronos-Zeit mit der Kairos-Zeit zu begegnen. Kairos ist in der griechischen Mythologie der Gott des Augenblicks. Er ist der Inbegriff des günstigen Zeitpunkts für eine Entscheidung, dessen ungenutztes Verstreichen nachteilig sein kann. „Alles im Leben hat seine Zeit“, sagte Eidt. Man müsse immer leben, was gerade an der Zeit sei. Also beim Essen nicht schon wieder an die Arbeit denken und die „gute alte Freundin“, die spontan vorbeischauen will, nicht abwimmeln, bloß weil die Küche wieder einmal unflätige Bemerkungen macht. „Kairos-Zeit ist erfüllte Zeit, die Kraft und Energie spendet“, sagte Eidt.

Für ihn als Pfarrer hat das Thema Burnout freilich auch eine theologische Dimension. „Wer alles im Griff haben will und keine Grenzen mehr setzt, der stellt sich auf eine Stufe mit Gott“, sagte Eidt. Das sei Sünde, und es mache krank. Darum müsse jeder einzelne seine eigenen Bedürfnisse wieder mehr in den Fokus nehmen – auch auf die Gefahr hin, dass das von einigen Menschen als Schwäche ausgelegt wird.