Seit 2007 wird nach einem Unbekannten gefahndet, der entlang des Grenzgebiets zwischen Bayern und Baden-Württemberg für zahlreiche Motorradunfälle durch Ölflecken verantwortlich ist. Die Polizei ermittelt neue Fälle und rückt von der Theorie eines Motorradhassers als Täter ab.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Kempten - Ein Feind von Motorradfahrern muss am Werk sein – so glaubte die von der Kemptener Polizei gebildete Ermittlungsgruppe „Ölfleck“ seit dem 17. April 2011. Das war der Tag, als der 37-jährige Familienvater Josef D. unweit seines Wohnhauses bei Markt Rettenbach im bayerischen Kreis Unterallgäu mit seinem Motorrad auf einer Öllache ausrutschte, in ein entgegenkommendes Auto krachte und starb. Am Rand der Kurve fand die Polizei zersprungene Flaschen, in denen der Täter das Öl transportiert hatte.

 

Mehr als zwei Jahre dauert nun die Fahndung nach dem Unbekannten. Währenddessen wurden durch die Vernetzung der Polizeiarbeit, Archivarbeit und Zeugenaufrufe rückblickend immer mehr Anschlagversuche bekannt, alle entlang des Grenzgebiets zwischen Bayern und Baden-Württemberg und beginnend im Jahr 2007. Stets waren mehrere Ölflecken auf Strecken von wenigen Kilometern erzeugt worden, unter anderem 2007 bei Bad Schussenried, 2008 in der Nähe von Beuron (Kreis Sigmaringen) und 2010 bei Schwendi (Kreis Biberach).

Immer lag die Tatzeit im Frühjahr, stets lauerte die Gefahr in Kurven. Nur eine Merkwürdigkeit hatte es gegeben: Am 28. Oktober 2008 war bei Dillingen an der Donau (Bayern) ein Autofahrer auf einer Öllache ins Schleudern geraten, er wurde verletzt, als sich sein Wagen überschlug. Eine herbstliche Variation desselben Musters, dachten die Fahnder.

Vier neue Attentate geben der Polizei zu denken

Mit dem Tod von Josef D. im April 2011 hatte die Anschlagserie aufgehört, so glaubte man jedenfalls bis vor Kurzem bei der Kemptener Polizei. Hatte der Täter 2011 sein Ziel, die Tötung eines Motorradfahrers, endlich erreicht? Gab es deswegen keine neuen Fälle? War er vorsichtig geworden, weil eine groß angelegte Öffentlichkeitsfahndung angelaufen war?

An einer der zerbrochenen Ölflaschen hat die Polizei die DNA des Unbekannten sicherstellen können. Von rund 1400 Männern sind bisher freiwillige Speichelproben erhoben worden, Anzeigeerstatter und aktenbekannte Beschwerdeführer wurden überprüft, die sich in der Vergangenheit über Motorradlärm beklagt haben. Nichts führte bisher zu einem Erfolg.

Jetzt allerdings gibt es brandneue Erkenntnisse. Sie haben die Polizei dazu bewogen, die Theorie vom Motorradhasser aufzugeben. Anlass sind vier bekannt gewordene neue Attentate in Bayern, die zu denken geben. Am 21. Dezember 2009 waren, wieder in der Nähe von Dillingen, Ölflaschen auf die Straße geworfen worden. Der Tatzeitpunkt lag damit erstmals klar außerhalb der Motorradsaison. Am 30. Oktober 2007, so weiß man jetzt ebenfalls, waren nachts Ölflaschen auf einem kerzengeraden Autobahnstück im Kreis Freising aus einem Fahrzeug geworfen worden. „Jetzt haben wir auch noch eine Autobahn drin. Das deutet nicht darauf hin, dass es der Täter vor allem auf Motorradfahrer abgesehen hat“, sagt ein Sprecher der Polizei.

Motiv des Täters: „Bedürfnis nach Machtausübung“

Im Licht der neuen Informationen haben sich zum zweiten Mal Profiler von der operativen Fallanalyse der bayerischen Polizei mit der Anschlagserie beschäftigt. Nicht Hass auf Motorradfahrer sei die Motivation des Täters, so die neueste Theorie, sondern „das Bedürfnis einer Machtausübung“. Die Ölanschläge seien allesamt mit Kalkül begangen worden, das passe nicht zu einem hasserfüllten Menschen. Der Gesuchte ist nach dem erneuerten Persönlichkeitsprofil ein Mann, der laut Polizei „über ein eingeschränktes soziales Umfeld verfügt, also eher zurückgezogen und eigenbrötlerisch lebt“.

Gut möglich, dass dieser Unbekannte wieder aktiv geworden ist. Am 10. März sind bei Dießen am Ammersee (Kreis Landsberg) auf der Staatsstraße 2056 erneut vier Ölflecken auf einer Strecke von 1,5 Kilometern entdeckt worden. Es würde sich um Anschlag Nummer neun handeln. Allerdings gibt es Unterschiede zur bisherigen Serie. Anstatt in Wein- und Sektflaschen hatte der Täter das Öl in Essigflaschen abgefüllt. Und anstatt Motorenöl war pflanzliches Öl auf die Straße geworfen worden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, so die Kemptener Polizei, dass ein Trittbrettfahrer auf den Plan getreten ist.