Jürgen Deiß steuert täglich seinen Linienbus durch Alt-Sillenbuch – seit genau 25 Jahren. Der 60-Jährige ist im Stadtteil bekannt wie ein bunter Hund.

Sillenbuch - Ein Bus, der durch eine Häuserschlucht fährt. Fröhlich winkt der Fahrer durchs geöffnete Fenster einem Mann zu, der mit zwei Hunden an der Leine den Gehweg entlangschlendert. Der Hundebesitzer winkt zurück. Jürgen Deiß betrachtet die Szene, die auf eine Postkarte gedruckt ist. Ohne den Blick abzuwenden, sagt er: „Das mit dem Bild, das war schon . . . hallo!“ Dann erklärt er: Die Postkarte ist die kleine Version eines Kunstwerkes, das bei ihm daheim an der Wand hängt. 1,13 Meter ist es hoch, 83 Zentimeter breit. Was ihn daran so bewegt? Der Busfahrer, das ist Jürgen Deiß selbst. Der Sillenbucher Künstler Hermann Andrea Bauer hat es gemalt. Als Hommage.

 

Jürgen Deiß ist im Stadtteil bekannt wie ein bunter Hund. Täglich steuert er den 66er-Bus im Auftrag der Firma GR Omnibus durch Alt-Sillenbuch. 17 Minuten dauert die Rundfahrt, dann geht die Tour von vorn los. Immer wieder. Manchem wäre das zu langweilig. Der 60-Jährige aber betont, dass ihm genau das gefällt, „dass ich alle kenne. Da ist man nicht nur Busfahrer, sondern mehr: Psychologe, Kummerkasten“. Im 66er duzt man sich. Für seine Fahrgäste ist er nur der Jürgen. „Ein Prozent siezt mich vielleicht“, sagt er. Hermann Andrea Bauer, der Künstler, der die Busszene gemalt hat, lobt sein offenes Ohr und seine Freundlichkeit. Zweimal schon, 2017 und 2018, haben die VVS-Fahrgäste Jürgen Deiß zum „Busfahrer des Jahres“ gewählt. „Wenn Herr Deiß am Steuer sitzt, dann fängt der Tag gut an!“, hat 2018 auf einem Stimmzettel gestanden.

Viele Geschichten zu erzählen

Geschichten kann man über den Vater dreier Söhne viele erzählen. Etwa die, wie bei einem Stammfahrgast zwei Tage lang kein Licht im Fenster brannte und der Busfahrer telefonisch alle Krankenhäuser in der Umgebung abklapperte und erfuhr, dass der Mann tatsächlich im Krankenhaus lag. „Das war mein Weißhaariger“, sagt Jürgen Deiß. Oder die Geschichte, als ein Senior am Sillenbucher Markt auf dem Gehweg stürzte und blutend von Passanten liegen gelassen wurde, bis Jürgen Deiß mit dem Bus kam und den Verletzten daheim absetzte. Einer Frau hat der Busfahrer eine Putzfrau besorgt, eine andere, eine frühere Stammmitfahrerin, besucht er alle zwei Wochen für 15 Minuten im Pflegeheim. „Sie ist über 100“, sagt Jürgen Deiß. Einige Sillenbucher hätten seine Handynummer, etwa für den Fall, dass es schneit und unklar ist, wie der Bus verkehrt. Ein Einsatz, der ihm gedankt wird. Jürgen Deiß zeigt auf dem Handy ein Foto vom vergangenen Weihnachten. Man sieht haufenweise Päckchen, Schokonikoläuse, Plätzchen und Weinflaschen.

Seit 25 Jahren mit dem Bus unterwegs

An diesem Montag, dem 15. November, feiert Jürgen Deiß sein 25-Jahr-Dienstjubiläum als Busfahrer. Es ist gleichzeitig sein 25-Jahr-Jubiläum auf seiner Stammlinie. „Ich bin auf der 66er eingelernt worden“, sagt er grinsend. Früher hatte er eine Kneipe in seinem Heimatort Welzheim, die hielt sich aber nicht. „Bei uns hat die Arbeitslosigkeit zugeschlagen, die Leute haben weniger gegessen und getrunken“, erzählt er, also schulte er um. Erst zum Lkw-Fahrer, dann zum Busfahrer.

Mit seiner Berufswahl ist der Mann mit dem Bürstenschnitt glücklich, wie er sagt. „Es gibt ja Herausforderungen“, sagt Jürgen Deiß über die vielen Kurven und Engstellen im alten Ortskern, „und jetzt hat es da die ganzen Baustellen“. Vor allem aber gefalle ihm der enge Kontakt zu den Menschen. „Das macht mich zufrieden. Ich könnte nicht einsteigen und denken: Oh Gott, wann ist Feierabend?“