Der Bundesvorsitzende Cem Özdemir hat in seinem Landesverband Baden-Württemberg an Ansehen zugelegt. Beim Listenparteitag würdigen die Delegierten seine Arbeit.

Stuttgart - Ausgerechnet Schleierkraut. Diesen Blümchen gewordenen Ausdruck der Biederkeit schwenken die Bundestagskandidaten der Grünen zusammen mit jahreszeitlich korrekten gelben Chrysanthemen und feiern damit ihre Landesliste. „Ja, sind wir nun spießig oder nicht“, witzelt die Spitzenkandidatin Kerstin Andreae und spielt damit auf die Debatte um die neue Bürgerlichkeit der Grünen an.

 

In der Hoffnung auf deutliche Zugewinne bei der Bundestagswahl 2013 haben die Grünen im Land am Wochenende 38 Kandidaten nominiert, so viele wie noch nie. Bei der Wahl 2009 hatten sie es bei 20 belassen. Symbolträchtig mitten unter ihnen und nicht etwa in der ersten Reihe, posiert Cem Özdemir, der sich in Böblingen ganz als Landeskind gibt. Zwar hatte sein Konkurrent Gerhard Schick eine deutlich geschliffenere Rede gehalten, doch Özdemir bekam mit 115 Stimmen sogar etwas mehr Zustimmung als Kerstin Andreae (108) gegen Sylvia Kotting-Uhl.

Özdemir in Stuttgart angekommen

Für Özdemir sprach wohl nicht allein die Parteiräson, die vorgab, den Parteichef nicht im eigenen Verband zu beschädigen. „Cem ist nach dem letzten Bundestagswahlkampf wirklich in Stuttgart angekommen“, sagt die Stuttgarter Landtagsabgeordnete Brigitte Lösch. Nun sei er „im Kreisverband geerdet“ und auch viel öfter in der Stadt. „Ich atme ein bisschen Baden-Württemberg“, sagt Özdemir selbst. Bewusst habe er nicht bundesweiter Spitzenkandidat werden wollen. Er wolle sich „gezielt um Baden-Württemberg bemühen“. Auf das Land komme es bei der Wahl besonders an. Die 13,9 Prozent von 2009 wolle man deutlich steigern. Dazu kommt, dass das Direktmandat in Stuttgart ein prestigeträchtiger persönlicher Erfolg wäre.

Özdemir hat sich geändert, sagen die Delegierten wohlwollend. „Er hat vier Jahre ohne Mandat als Bundesvorsitzender geackert. Für ihn war es deutlich schwieriger als für Claudia Roth. Dafür hat er jetzt Wertschätzung erfahren“, kommentiert die Stuttgarter Abgeordnete Birgitt Bender. Dass er schafft, das gefalle den Baden-Württembergern. Vorbei sind die Zeiten, da Özdemir als politisches Leichtgewicht galt. Hans-Ulrich Sckerl, der lange genug dabei ist, um sich zu erinnern an Bonus-Flugmeilen und Billigkredite, spricht gar von Katharsis.

Lebensnahe Sprache

Auch inhaltlich habe sich der 46-jährige gebürtige Bad Uracher entwickelt. Sckerl nennt neben den Themen Bürgerrechte und Migration, für die Özdemir schon lange steht, die Bereiche Europa und Wirtschaft, die er sich zusätzlich erarbeitet habe. Dazu kommen die rhetorischen Fähigkeiten. Özdemirs Stärke sei „seine anschauliche, lebensnahe Sprache“, findet Verkehrsminister Winfried Herrmann. Er hat auf die Nominierungen zur Landesliste 2012 und 2008 ohnehin eine eigene Sicht: „Damals hat Cem gegen Alexander Bonde und gegen mich verloren, vielleicht lag’s auch daran“.

Vielleicht lag’s auch daran, dass die Delegierten „groß geworden sind“, wie die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer lobt. „Überraschende, von der Tagesform abhängige Erfolge sind nicht mehr möglich“, konstatiert die Heidelbergerin. Es wird auch niemand mehr beschädigt. Die Landesvorsitzende Thekla Walker ist heilfroh, dass Gerhard Schick und Sylvia Kotting-Uhl sehr gute Ergebnisse bekommen haben. Beide fühlen sich bestärkt. Kotting-Uhl würde es wieder tun, „es geht auch darum, Wahlen zu haben“. Gerhard Schick findet das Ergebnis „völlig in Ordnung. Meine Anliegen sind gestärkt.“

Gestärkt sind auch die Grünen. Sie feierten den Höchststand von 8800 Mitgliedern. „Bis zum Wahlkampf brauchen wir 8900“, sagt Walker. Das schaffen sie, glauben viele Delegierte. Sie seien im Kommen – und auch Schleierkraut soll inzwischen wieder in sein.