Während Politik und Medien über Özils Rücktritt streiten, schweigt die Mehrheit der Nationalspieler. So wird die Debatte von jenen bestimmt, die sie für ihre Zwecke missbrauchen.

Singapur - Oben-ohne-Fotos vom Urlaubsboot, Bilder von der Radtour aus Italien oder ein Schnappschuss von der Wanderung in den Bergen von Los Angeles – die deutschen Fußball-Nationalspieler sind auch im Urlaub in den sozialen Netzwerken aktiv. Schließlich gilt es, nach dem WM-Debakel wieder schöne Bilder zu produzieren, die eigene Marke zu stärken und zu zeigen: Ich bin noch da! Nur zu einer Sache scheinen sich DFB-Kapitän Manuel Neuer und andere Führungsspieler wie Toni Kroos oder Thomas Müller nicht äußern zu wollen – zum Rücktritt ihres langjährigen Weggefährten Mesut Özil.

 

Während in Deutschland im Zuge des Özil-Abschieds aus der Nationalelf eine emotional aufgeladene Integrations- und Rassismusdebatte geführt wird, herrscht im Kreise der WM-Fahrer weitgehend Schweigen. Lediglich Antonio Rüdiger, Jérôme Boateng und Julian Draxler gaben öffentliche – teils butterweiche – Statements ab, in denen sie sich bei Özil für die gemeinsamen Jahre in der Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) bedankten. „Es war mir eine Freude, Bruder“, schrieb beispielsweise Boateng auf Instagram. Und Draxler, der wie Özil in Gelsenkirchen fußballerisch groß wurde, postete: „Danke für das, was du für den deutschen Fußball getan hast. Du kannst stolz auf deine Leistungen sein.“

Özil lässt lieber andere sprechen

Alle drei Ex-Mitspieler aus dem Nationalteam bekamen von Özil ein Like für ihre Botschaften – selbst äußern will sich der 29-Jährige nach seiner dreiteiligen Rücktrittserklärung vorerst nicht mehr zu dem Abschied. Er sei ausschließlich zum Trainieren in Singapur, ließ er am Mittwoch die Journalisten am Rande des dortigen Trainingslagers seines Clubs FC Arsenal wissen. 10 000 Kilometer entfernt von Deutschland ist für ihn der Rücktritt aus der Nationalelf weit weg. „Ich bin echt begeistert, dass wir hier sind“, sagte Mesut Özil lapidar. „Es ist ein bisschen zu warm, aber wir genießen das echt.“

Zum Rücktritt geäußert hat sich dagegen parallel dazu sein Bruder. „Wir haben diese Entscheidung zusammen getroffen. Er hat über das Thema sehr viel nachgedacht“, sagte Mutlu Özil der türkischen Nachrichtenagentur DHA am Mittwoch. Er meinte zudem, dass sein Bruder nicht verdient habe, wie die Dinge gelaufen seien: „Jeder will ein letztes Spiel machen und gut aufhören. Er hätte sich besser verabschieden können.“ Die Schuld für das unglückliche Ende liege aber nicht bei seinem Bruder.

Das Schweigen von Joachim Löw

Von Bundestrainer Joachim Löw ist dagegen seit Wochen nichts mehr zur Causa Özil zu hören. Dass der Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff nach seinen unglücklichen Aussagen in der „Welt“ („Man hätte überlegen müssen, ob man sportlich auf Mesut verzichtet“) und dem gescheiterten Versuch, diese Aussagen wieder einzufangen, schweigt, scheint für viele noch verständlich. Warum sich Löw zu seinem einstigen Musterschüler nicht äußert, ist hingegen Gegenstand einer nicht enden wollenden Debatte.

„Führungsschwach und führungslos“ nennt Ex-Nationalspieler Dietmar Hamann das Verhalten des Verbandes und seiner Akteure. Die unglücklichen Auftritte des DFB-Präsidenten Reinhard Grindel und Löws Schweigen seien der Grund, „warum sich jetzt jeder das Recht herausnimmt, Mesut Özil unter der Gürtellinie anzugreifen“. Das dürfte auch Özil gemeint haben, als er mangelnde Unterstützung seitens des Verbandes beklagte.

Kampagne in den Medien

In welch massiver Weise der Weltmeister von 2014 angegangen wird, lässt sich fast täglich an Deutschlands größter Boulevardzeitung ablesen. Özil habe „seit Jahren nur noch Dreck gespielt und nichts mehr in der Nationalmannschaft verloren“, ließ Bayern-Präsident Uli Hoeneß in der „Bild“ wissen. Zudem wurde von einem „Jammer-Rücktritt“ gesprochen und im Gegenzug die Hetze, der Özil besonders im Internet über Wochen und Monate ausgesetzt war, kleingeredet. Die FAZ – die zuvor insbesondere die mangelnde Selbstkritik von Özil in Bezug auf die Erdogan-Bilder angeprangert hatte – spricht mittlerweile gar von einer „Ausbürgerungskampagne“ der „Bild“ gegenüber Özil.

Die aufgeheizte Stimmung in Deutschland ist sicherlich ein Grund, warum sich kaum ein Nationalspieler zum Thema Özil äußert. Zwar will „Bild“ erfahren haben, dass sich Kapitän Neuer nach seinem Urlaub erklären werde. Die Spieler dürften jedoch erkannt haben, wie gefährlich es ist, zurzeit über Themen wie Rassismus und Integration zu sprechen.

So wird die Debatte jenen überlassen, die sie für ihre Zwecke missbrauchen – sowohl in der Politik als auch in den Medien. Und der alte Grundsatz, dass Sport und Politik grundsätzlich zu trennen seien, dürfte spätestens nach den Erdogan-Bildern im türkischen Wahlkampf ad acta gelegt worden sein. Die Nationalspieler wissen das – sonst gäbe es auf Instagram und Co. mehr zu sehen als ein Lachsmiley neben einem Bild auf der Lieblingsjacht.