Das Rennen um den Stammplatz im Tor ist bei vielen Fußball-Bundesligisten offen wie nie zuvor. So wie in Stuttgart, wo der Neuzugang Ron-Robert Zieler dem Aufstiegskeeper Mitch Langerak die Position streitig macht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Früher ist von der Position des Torhüters eine große Verlässlichkeit ausgegangen. Im Winter trug er zum Beispiel prinzipiell lange Hosen, und im Sommer schützte er sich mit einer Schildmütze vor der blendenden Sonne. Und es gab eine ganz klare Hierarchie im Tor. Der Stammtorhüter machte in der Regel alle 34 Bundesligaspiele. Zur Not auch mit angebrochener Hand. Das Vertrauen in den Ersatzkeeper war meist nicht besonders ausgeprägt. Für ihn gab man ja auch nicht besonders viel Geld aus.

 

Heute ist alles ganz anders.

Kein Stellenprofil im Fußball hat sich so verändert wie das des Torhüters. Was schon dadurch deutlich wird, dass in der Trainerausbildung immer häufiger etwas gestelzt vom „Torspieler“ die Rede ist.

Der Wandel führt zurück in das Jahr 1992, als eine neue Regel eingeführt wurde. Seitdem darf der Torwart Rückpässe nicht mehr mit der Hand aufnehmen, sondern muss die vom Mitspieler gestellte Aufgabe mit dem Fuß lösen. Hier ist dann auch der Anfang vom Ende der Sonderrolle des Torhüters zu verorten. Es werden mittlerweile keine großen positionsbedingten Unterschiede mehr gemacht. „Meine Idealvorstellung ist, dass du elf Feldspieler auf dem Platz hast“, hat Marco Langner, der Torwarttrainer des VfB Stuttgart, schon vor Jahren gesagt, damals noch in Diensten von Werder Bremen: „So sieht der moderne Fußball aus“, meint Langner.

Der Torwart hat keinen Sonderstatus mehr

In diesem modernen Fußball hat der Torwart keinen besonderen Status mehr, im Training macht er jetzt viele fußballerische Übungen mit. Es fand so etwas wie die Umerziehung zum Teamspieler statt. Was dazu geführt hat, dass es mittlerweile kaum noch extrovertiert-egozentrische Torhüter gibt. Früher prägten Manfred Manglitz, Sepp Maier, Wolfgang Kleff, Uli Stein oder Toni Schumacher in der Bundesliga das Bild von der eigenwilligen Torwarttype. Die letzten Vertreter des alten Schlags waren Jens Lehmann und Oliver Kahn.

Der neue Torhüter bringt vielerorts Veränderungen in der Personalpolitik mit sich. Wie die Positionen zwei bis elf wird nun auch verstärkt der Posten im Tor häufig doppelt und möglichst gleichwertig besetzt. Was in der Konsequenz dazu führt, dass das Rennen um den Job als Nummer 1 in der Bundesliga noch nie so offen war wie vor dieser Saison. Bei fast der Hälfte der Erstligaclubs ist noch ziemlich unklar, wer am ersten Spieltag im Tor stehen wird.

Somit liegt der VfB Stuttgart voll im Trend, der sich zu seinem Aufstiegstorhüter Mitch Langerak noch den länderspielerfahrenen Ron-Robert Zieler dazu geholt hat. „Für mich eine überraschende Entscheidung“, sagt die ehemalige Nummer 1 des VfB, Timo Hildebrand. Ihm sei es immer lieber gewesen, früh zu wissen, woran man ist, so der Meistertorwart von 2007. „Auf Dauer gesehen, ist Klarheit besser“, meint Hildebrand, der in Valencia das genaue Gegenteil erlebt hat: „Dort wurde teilweise erst unmittelbar vor dem Spiel mitgeteilt, wer im Tor steht.“

Wenn man Timo Hildebrand hört, dann sollte ein Torhüter auch weiterhin mit anderen Augen gesehen werden als die Kollegen. „Mit dem Begriff ‚Torspieler‘ kann ich gar nichts anfangen“, sagt er. Außerdem findet er, dass die fußballerischen Qualitäten eines Torhüters auch nicht überbewertet werden sollten: „Natürlich ist es beeindruckend wie Marc-André ter Stegen das Spiel in Barcelona mit rechts wie mit links eröffnen kann.“ Der Schalker Torhüter Ralf Fährmann beispielsweise sei fußballerisch bei Weitem nicht so gut, meint Hildebrand: „Was aber nichts daran ändert, dass er ein herausragender Torwart ist, der auf der Linie seine Stärke hat.“

Ralf Fährmann gehört zu der kleiner werdenden Gruppe von Bundesligatorhütern, die die unumstrittene Nummer 1 in ihren Clubs sind. So wie natürlich Manuel Neuer bei den Bayern oder der Hoffenheimer Oliver Baumann. Doch mindestens in sieben Erstligafällen ist die Torhüterfrage noch offen. So auch beim neben dem VfB zweiten Aufsteiger Hannover, wo sich der Neuzugang Michael Esser mit der bisherigen Stammkraft Philipp Tschauner einen Zweikampf liefert. Ähnliche Verhältnisse herrschen auch bei RB Leipzig, wo es der bisher gesetzte Peter Gulacsi jetzt mit dem aus Bern geholten Herausforderer Yvon Mvogo zu tun hat.

Besonders unübersichtliche Situation in Augsburg

Eine Konkurrenzsituation macht die Torhüter besser, lautet die Erklärung bei den Clubs, die eine ungeklärte Situation haben und sich auch noch nicht festlegen wollen. So wird beim Hamburger SV gerade jedes Testspiel zum Torwart-Casting, bei dem im Moment Christian Mathenia die besseren Chancen gegenüber U-21-Europameister Julian Pollersbeck hat, der beim Turnier im Juni noch zum besten Torhüter gewählt worden war.

Am unübersichtlichsten ist die Lage derzeit beim FC Augsburg, wo im Moment drei sehr ambitionierte Torhüter in der Verlosung sind. Nachdem Stammtorwart Marwin Hitz Wechselabsichten nachgesagt wurden, hat der Club Fabian Giefer verpflichtet. Zusammen mit Andreas Luthe, der auch schon seine Erstligatauglichkeit unter Beweis gestellt hat, stehen Augsburg nun drei Torhüter mit Stammplatzpotenzial zur Verfügung.

Dagegen könnte in Frankfurt noch kurzfristig ein Stammplatz frei werden. Denn Eintracht-Torwart Lukas Hradecky wird gerade bei Benfica Lissabon hoch gehandelt, wie zuvor schon bei Juventus Turin.

Einige europäische Spitzenteams begegnen dem im Trend liegenden Duell zweier starker Torhüter, indem sie den einen in der Liga spielen lassen und den anderen in den Pokalwettbewerben. Das soll der ganzen Sache etwas die Brisanz nehmen. Denn eines ist auch klar, eine nicht von vornherein geklärte Torhütersituation kann neben Unsicherheit auch Unruhe in eine Mannschaft bringen.