Zwei Jahre lang hat Großbritannien getrödelt, eine weiterer Fristaufschub bringt da auch nichts mehr, kommentiert Politik-Redakteur Christian Gottschalk. Europa braucht Kraft für andere Themen, daher ist es nun an der Zeit bye bye zu sagen.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Liebe Briten,

 

geht. Bitte geht, und zwar schnell. Beendet dieses Trauerspiel, hört auf damit, Euch selbst zu belügen – und uns zu nerven. Geht, und werdet glücklich dabei – ich wünsche es Euch, ehrlich, wobei ich gerade daran nicht glaube.

Liebe Briten, ein paar von Euch haben es ja schon bemerkt, dass Ihr 2016 einer Gruppe von Rattenfängern aufgesessen seid, als Ihr beschlossen habt, Europa zu verlassen. Aber Ihr habt es nicht geschafft, die große Masse davon zu überzeugen, dass der Brexit ein Fehler war. Der Brexit an sich, nicht der Vertrag, den Eure Regierungschefin mit Europa ausgehandelt hat.

Zwei Jahre lang habt Ihr lieber lamentiert, habt erklärt, was Ihr alles nicht haben wollt, was nicht geht, was Euch als unzumutbar erscheint. Was ihr eigentlich wollt, das ist ein Geheimnis geblieben. Obwohl, das stimmt nicht ganz. Ihr wollt die Vorteile einer Mitgliedschaft in der EU behalten, und die Vorteile der Unabhängigkeit ebenso. Sorry, aber dass das nicht geht, das sollte Euch bei einem kurzen Nachdenken selber einfallen. Dazu braucht man keine zwei Jahre.

Eine weitere Frist löst keine Probleme

Liebe Briten, ich hätte mich gefreut, wenn Ihr 2016 anders entschieden hättet. Ganz ehrlich. Trotz Eurer Sonderwünsche, die Ihr da immer wieder zusammengerührt habt, Ihr seid ein wichtiger Teil der Europäischen Gemeinschaft gewesen. Man konnte sich auf Euch verlassen. Ich hätte Euch gerne im Club behalten. Aber jetzt reicht es. In zwei Jahren habt ihr es nicht hinbekommen, Euch darüber klar zu werden, wie Ihr Eure Wünsche umsetzen könnt. Da bringt es auch nichts, Euch eine neue Frist zu geben. Das Elend würde sich nur verlängern, in den Sommer hinein, ändern würde es nix.

Liebe Briten, bitte kommt nicht auf den Gedanken, noch einmal abzustimmen über den Brexit. Nicht jetzt. Denn was könnte schon passieren? Entweder, die Mehrheit für einen Abschied würde noch größer. Dann könnt Ihr auch gleich gehen. Oder das Blatt wendet sich. Und dann? Dann würden all diejenigen, die Euch schon 2016 verführt haben, noch lauter schreien, und sich darüber beschweren, dass das böse Europa so lange auf Euch eingeschlagen hat, bis Ihr unter Druck die Meinung geändert habt. Viele von Euch würden das glauben. Ihr würdet dann vielleicht noch drinnen sein in der EU, Euren Frieden hättet ihr aber nicht. Ganz nebenbei: Wir erst recht nicht. Denn weit über Eure Inselgrenze hinaus würde sofort die Legendenbildung beginnen, wonach Europa den wahren Willen des Volkes nicht ernst nehme. Da könnte der Schaden noch größer werden, als wenn Ihr jetzt geht, auch ohne Regeln.

Es gibt größere Probleme als den Brexit

Liebe Briten, die Welt steht vor radikalen Umbrüchen, die geostrategische Gesamtlage verändert sich in atemberaubendem Tempo. Europa treibt dabei auf den Wellen eher ziellos hin und her, anstatt selbst den Kurs zu bestimmen. Europa braucht Kraft, um nicht in neuen Machtkonstellationen aufgerieben zu werden, zwischen den USA, Russland und China. Stattdessen müssen wir unsere Kräfte damit vergeuden, Eure Fehler auszumerzen. Das kann so nicht weiter gehen.

Geht, bitte, und werdet glücklich. Und wenn das nicht klappt mit dem glücklich werden, dann kommt wieder. Wenn nicht mehr Eure Königin die Pfundscheine ziert sondern deren Sohn oder Enkel, dann dürft Ihr gerne wieder an die europäischen Türen klopfen, und, das verspreche ich Euch, es werden sich Fürsprecher finden, diese Türen zu öffnen. Aber jetzt lasst uns erst einmal in Ruhe, auch wenn es uns schmerzen wird. Alles Liebe. Christian