In Baden-Württemberg gründet sich ein landesweiter Dachverband für Dialekte. Verzopft? Altbacken? Von wegen, hält Markus Rösler vehement dagegen. Dialekt sei in, sagt der Grünen-Landtagsabgeordnete. Und das habe gute Gründe.

Ludwigsburg: Susanne Mathes (mat)

Dass man diesem Thema Gehör schenke, das freue ihn „donderschlächdich“, frohlockt Markus Rösler, und der Donnerschlag klingt in dem schönen schwäbischen Adjektiv nachhaltig mit. Der Landtagsabgeordnete der Grünen ist bekennender Mundart-Sprecher und Hauptinitiator für die Gründung eines landesweiten Dachverbandes für Dialekte, auf den eine parteiübergreifende Dialektinitiative im Landtag von Baden-Württemberg schon länger hinarbeitet. Rösler, der für den Wahlkreis Vaihingen im Landesparlament sitzt, erzählt im Interview, was Dialekt und Globalisierung miteinander zu tun haben, warum die Sache mit den Schwaben und den Schrippen in Berlin von Anfang an ein Missverständnis gewesen ist, und warum man „’s Seil fatzt“ niemals besser ausdrücken könnte als eben mit „’s Seil fatzt“.

 

Herr Rösler, wenn man im Dialekt so drauflos schwätzt, sorgt das in gewissen Kreisen nicht unbedingt für Distinktionsgewinn...

Was? Das sehe ich völlig anders. Meine persönlichen Erlebnisse, ob in Nordfriesland, in Berlin, auf der Alb, in Greifswald oder im Saarland, wo ich überall gelebt habe, sind andere. Meine Erfahrung ist: Wenn man den Dialekt der Gegend, in der man sich gerade befindet, wertschätzt, und selbst seinen eigenen Dialekt mitbringt, wird man folgendermaßen wahrgenommen: „Bei uns bist du zwar ein Fremder, aber bei dir zu Hause bist du ja auch ein Einheimischer mit deinem Dialekt.“ Das verbindet.

Aber andere versuchen mühsam, sich ihren Dialekt abzutrainieren, weil sie nicht wollen, dass man merkt, wo sie herkommen... In Berlin gab es doch sogar eine regelrechte Anti-Schwaben-Kampagne.

Ach, ich schätzte Herrn Thierse ja, aber bei dieser Diskussion hat sich doch gezeigt, dass er nicht einmal zwischen Bayern und Baden-Württembergern unterscheiden kann. Dass man in Berlin keine Schrippe mehr kaufen könne, weil man überall nur noch Semmeln verlange: Ich bitte Sie, als ob Schwaben in Berlin Semmeln kaufen würden...

Markus Rösler ist grüner Landtagsabgeordneter und will einen Dachverband für Dialekte gründen. Foto: privat

Was kaufen Sie? Ein Weckle?

Noe, i kaof an Weck, oder glei a baar Wecka. Ohne -le.

Warum braucht Baden-Württemberg einen Dachverband für Dialekte? Es gibt doch etliche Mundart- und Traditionsverbände?

Aber keinen, der die Dialekte des ganzen Bundeslandes unter einem Dach fasst, wie der Name schon sagt. Alle Dialekte im Land, vom Rheinfränkischen in der Kurpfalz bis zum Allgäu und vom Alemannischen in Südbaden über alle schwäbischen Dialekte bis zum Fränkischen an der Grenze zu Bayern sollen gleichberechtigt vertreten sein und Gehör finden. Wir wollen alle Vereine, Wissenschaftler, Künstler und Einzelpersonen, die sich für Dialekt und Mundart einsetzen, miteinander vernetzen. Und natürlich wollen wir gemeinsam gegenüber Medien, Politik und Gesellschaft auftreten und dem Dialekt zu seinem Recht verhelfen. Wir von der Parlamentsgruppe Dialekt im Landtag von Grünen, CDU, SPD und FDP hatten zum Beispiel auch schon ein Gespräch mit SWR-Senderdirektorin Stefanie Schneider. Außerdem würden dem landesweiten Dachverband ab Gründung jährlich und dauerhaft 78 000 Euro Zuschuss durch das Land Baden-Württemberg zur Verfügung stehen.

Warum braucht’s das alles?

Weil Gefahr im Verzug ist. Viele Kinder sprechen keinen Dialekt mehr. Das liegt nicht daran, dass zum Beispiel im Kindergarten kein Dialekt mehr geschwätzt würde, die Erzieherinnen sprechen den zum Teil schon. Aber in vielen Familien ist halt nur noch ein Elternteil aus Schwaben oder Baden, und der andere vielleicht aus Brandenburg oder Griechenland. Da unterhält man sich in der Familie nicht mehr unbedingt im Dialekt. Und auch auf der Gass’ lernt man ihn nicht mehr automatisch, wie ich an meinen eigenen Kindern leider gemerkt habe. Die sozialen Medien tun ihr Übriges dazu. Die Buba schauen sich Tiktok-Videos oder Serien auf Englisch oder eben Schriftdeutsch an. Wobei: Geschrieben wird dann bei den Jugendlichen doch manchmal „I bin“ oder „isch“ statt „Ich bin“ oder „ist“. Das ist oft ein ganz lustiger Mischmasch.

Auch junge Leute finden schwäbische Comedians wie Dodokay ja witzig...

Klar! Dodokay ist bei unserer Initiative natürlich auch dabei, auch Pius Jauch, Johannes Kretschmann... Der Dachverband will ja bewusst auch jüngere Künstlerinnen und Künstler mit einbeziehen und erreichen, zum Beispiel durch Mundartpreise, die wir über soziale Medien bewerben wollen. Überhaupt wollen wir die jungen Menschen ansprechen. Dialekt soll kein Museum sein, sondern leben.

Ist das Dialektsprechen auch ein bewusster Gegenakzent zur immer globaler werdenden Welt, die neben Chancen auch viele Zumutungen birgt?

Auf jeden Fall. Dialekt ist, wie die Regionalisierung überhaupt, beispielsweise bei den Lebensmitteln, ein Gegentrend zur Globalisierung. Wo der Dialekt ist, fühlt man sich daheim und zugehörig. Es ist wie bei der Bahn. Es gibt den rasend schnellen ICE, aber es gibt eben auch den Interregio. Der ist zwar etwas langsamer, wird aber trotzdem ausgebaut, weil er seine Berechtigung hat. Und weil man, wenn man mit ihm fährt, mehr von seiner Umgebung sieht.

Weshalb finden Sie persönlich es eigentlich so wichtig, dass die Dialekte weiterleben?

Neben der Sache mit der Zugehörigkeit und der kulturellen Identität lässt sich im Dialekt einfach vieles viel präziser und genauer ausdrücken. „’S Seil fatzt“: Das ist doch viel besser als: „Ein sich unter hoher Anspannung befindendes Seil reißt mit lautem Knall.“ Übrigens: Leute aus dem Pflegebereich erzählen mir, dass sie, wenn sie mit ihren durchaus auch jüngeren Patienten im Dialekt kommunizieren, eine ganz andere Verbindung herstellen können.

Hat unser Ministerpräsident auch Anteil daran, dass manche den Dialekt mittlerweile sympathischer finden?

Bestimmt. Aber auch wir Abgeordnete, die sich über alle Parteien hinweg für den Dachverband stark gemacht haben und die wir, manche mehr, manche weniger, auch im politischen Alltag unsere Dialekte sprechen. Und wenn man mal überlegt: Wenn, wie kürzlich, Greenpeace mit Sitz in Hamburg bei einer Agrar-Demo in Berlin ein großes Banner mit der Aufschrift „Gnuag gschwätzt“ verwendet, um Cem Özdemir anzusprechen, dann zeigt das doch: Dialekt wird wieder beliebter, ist wieder in. Das hätte es vor zehn oder 20 Jahren nicht gegeben.

Initiative
Rund 50 Vertreterinnen und Vertreter von Dialekt- und Mundartvereinen, der Dialektforschung sowie Mundartkünstler wollen auf Anregung der Dialektinitiative im Landtag von Baden-Württemberg noch im ersten Halbjahr 2023 einen gemeinsamen landesweiten Dachverband gründen, in dem alle Dialekte im Land gleichberechtigt vertreten sind. Mehr als 50 Landtagsabgeordnete haben sich dafür stark gemacht.

Spielräume
Das Land wird vom kommenden Jahr an 50 000 Euro für Mundartpreise zur Verfügung stellen und den Verband jährlich mit 78 000 Euro Zuschuss  unterstützen.

Gesprächspartner
Markus Rösler (Grüne), Jahrgang 1961, studierte Landschaftsplanung, promovierte zu „Arbeitsplätze durch Naturschutz am Beispiel der Biosphärenreservate und der Modellregion Mittlere Schwäbische Alb“ und war unter anderem Geschäftsführer des Nabu Saarland. Seit 2011 sitzt er im Landtag, 2016 holte er das Direktmandat im Wahlkreis Vaihingen. Rösler ist verheiratet und hat drei Kinder.