Siemens hat in der Nordsee bei Stromprojekten bereits mehrere Hundert Millionen Euro versenkt. Für neue Großaufträge holen sich die Münchner deswegen Partner ins Boot, die bereits jahrzehntelange Erfahrung im Plattformbau haben.

München - Über der ruhigen Nordsee wölbt sich blauer Himmel. Eine halbe Stunde fliegt die zehnsitzige Propellermaschine schon, als das mit Windrädern verspargelte Seegebiet in Sicht kommt. Im Zentrum ein kleiner gelber Punkt, der langsam größer wird. „Das ist sie“, übertönt Tim Dawidowsky das laute Motorengeräusch. In seiner Stimme schwingt Stolz und Ehrfurcht mit. Dawidowsky managt bei Siemens das Geschäft mit der Stromanbindung. Mit „sie“ meint er Helwin 1, ein würfelförmiges Umspannwerk auf hoher See. Was aus der Vogelperspektive klein wirkt, ist ein im Grundriss 50 mal 50 Meter großes und 30 Meter hohes Monstrum, das so viel wiegt wie 6000 Elefanten.

 

Schwer wiegen auch die Probleme. Helwin 1 ist nur eine von vier Nordsee-Plattformen, mit denen sich der Münchner Elektrokonzern ausgerechnet in einem seiner Kerngeschäfte spektakulär verhoben hat. 808 Millionen Euro Verlust sind dafür seit 2011 aufgelaufen bei rund 300 Millionen Euro Jahresumsatz für Stromanbindungsgeschäfte dieser Art; und etwas finanziellen „Nachlauf“ werde es noch geben, räumt Dawidowsky ein. Doch das Schlimmste sei überstanden, die Fehler habe man erkannt und für Folgeprojekte abgestellt. „Wir sind jetzt sicher, Neuaufträge profitabel und in der Zeit abzuwickeln“, verspricht der Manager. Schlag auf Schlag werde es jetzt gehen. Binnen eines Jahres würden alle vier Problemplattformen fertig installiert und ans Netz gehen. Auch Tennet, für den Siemens die Umspannwerke baut, ist offenkundig überzeugt. Soeben hat der Netzbetreiber einen Folgeauftrag namens Borwin 3 an die Münchner vergeben. Mit 1,5 Milliarden Euro Volumen für 150 Windräder und ein Umspannwerk ist es der bislang größte Auftrag für die Siemens-Windsparte. Der Windpark 85 Kilometer vor der niederländischen Küste soll 2019 fertig sein.

Neue Projekte werden mit fünf Jahren veranschlagt

Die Zeit ist ein Grund, warum nun alles besser werden soll. Bei Helwin hatte Siemens noch versprochen, binnen 33 Monaten zu liefern. „Das ist technisch nicht möglich“, weiß Dawidowky heute. Nun plant er mit fünf Jahren. „Und wir konzentrieren uns jetzt auf das, was wir können“, umschreibt er einen anderen Erkenntnisgewinn. Bei Borwin 3 liefern die Münchner neben Windrädern nur noch die Hochspanntechnik. Bei den vier Problemprojekten haben sie sich auch die Verantwortung für Design und Bau der Plattform sowie deren Transport und Installation aufgehalst. Vor allem dabei ist vieles schief gegangen, die Kostenplanungen sind völlig aus dem Ruder gelaufen. „Wir haben das Risiko verteilt“, sagt Dawidowsky. Nun ist als Konsortialpartner der Spezialist Petrofac mit im Boot; und damit 30 Jahre Erfahrung in der Öl- und Gasindustrie.

Die Plattform für ein Siemens-Umspannwerk ähnelt einer Ölplattform. Doch selbst mit dem Knowhow von Petrofac ist vieles noch Pionierarbeit. Um Strom über mehr als 80 Kilometer zu transportieren, ist eine spezielle Gleichstromtechnik (HGÜ) nötig. Sie limitiert die Übertragungsverluste auf unter drei Prozent. Dass die Hightech-Anlagen mitten in der Nordsee stehen, wo die Luft feucht und salzhaltig ist, Sturm und hohe Wellen anbranden, stellt die größte Herausforderung dar. Von innen gleichen die Räume von Helwin 1 und ihren Schwestern hermetisch abgeschlossenen Kathedralen. Überdruck und Klimaanlagen sorgen für konstante Temperaturen. Technische Laien fühlen sich wie im Raumschiff Enterprise, wenn sich keramikummantelte Säulen verbunden mit armdicken Metalldrähten baumhoch über ihren Köpfen auftürmen.

Nur drei Großkonzerne beherrschen die Technik auf See

Bei der HGÜ-Technik, die Wechselstrom in Gleichstrom mit 320 Kilovolt umwandelt, sieht sich Siemens mittlerweile als technologisch führend an – auch gegenüber dem großen Konkurrenten ABB aus der Schweiz. Von 2020 an werde der Innovationsvorsprung durch Kosteneinsparungen von 30 bis 40 Prozent zum Tragen kommen und das Geschäft richtig profitabel machen, ist Dawidoswky überzeugt. Experten sehen bislang allerdings die Schweizer vorne. HGÜ-Technik auf See beherrschen nur drei Großkonzerne. Neben Siemens und ABB ist das die französische Alstom, um die sich derzeit Siemens und sein US-Erzrivale General Electric (GE) bewerben. Sollte Siemens zum Zug kommen, ist ein Kartellproblem offensichtlich. Bei einem Zuschlag für GE sähe sich Siemens in einem Zukunftsmarkt plötzlich mit der Marktmacht von GE konfrontiert.

Es droht also neues Ungemach. Dawidowsky zuckt die Schultern. „Das ist so oder so ein risikobehaftetes Geschäft.“ Ein Kranschiff zur Installation einer Plattform auf hoher See koste eine Million Euro am Tag und 20 Tage schlechtes Wetter seien für die Nordsee nichts Ungewöhnliches. „Die Millionen-Euro-Scheine drehen sich dann wie durch die Tankuhr“, beschreibt der Manager eines der Risiken, das Siemens aber mittlerweile abgegeben hat.