Tatsächlich muss sich der 62-Jährige gerade ziemlich viel dafür rechtfertigen, was er in der Vergangenheit getan oder unterlassen hat. Zwei große Skandale sind recht nah an den amtierenden Finanzminister und Vizekanzler herangerückt: Es geht um die Vorgänge beim insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard, die offenbar nur möglich waren, weil die zuständigen Stellen nicht genau hinschauten. Und es geht um den systematischen Steuerbetrug mit so genannten Cum-Ex-Geschäften, in die auch die Warburg Bank verwickelt war. In seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister traf sich Scholz ab 2016 mehrfach mit einem Mitgesellschafter der Bank, obwohl gegen diesen schon Ermittlungen liefen. Der Hamburger Fiskus ließ eine Steuer-Rückforderung gegen das Institut verjähren.
Scholz will „maximale Aufklärung“ im Fall Wirecard
Am Mittwoch im Bundestag musste Scholz gleich auf drei Bühnen Stellung zu den Vorgängen beziehen: Schon am Vormittag tagte der Finanzausschuss zum Cum-Ex-Skandal. Am Nachmittag gab es im Plenum noch eine Aktuelle Stunde dazu. Zwischendrin vertrat Scholz die Bundesregierung bei einer Regierungsbefragung. Hier kam neben Cum-Ex auch das Thema Wirecard wiederholt zur Sprache.
Dabei blieb der Minister bei seinen bisherigen Verteidigungslinien: Er stehe für „maximale Aufklärung“ im Fall Wirecard, sagte Scholz. Die ihm unterstellte Finanzaufsicht habe das getan, was ihr von Gesetz wegen aufgetragen sei. Das eigentliche Problem seien die Wirtschaftsprüfer, die trotz ihrer „großen Einkommen“ nicht bemerkten, dass das Wirecard-Management über Jahre hinweg Bilanzen fälschte. Er stehe für Reformen, die die Prüfer stärker in die Pflicht nehmen und die Finanzaufsicht stärken.
Auf eigenständige Rolle der Finanzämter gepocht
Im Hinblick auf den Cum-Ex-Skandal und seine Treffen mit Bankier Christian Olearius sagte Scholz, dass er sich nicht mehr an Details erinnern könne. Es gehöre zum Alltag von Politikern, sich mit Unternehmern und Bürgern zu treffen.
Vonseiten des Hamburger Senats habe es aber keinerlei Anweisungen an die Finanzbehörden gegeben, Warburg eine Sonderbehandlung zuteil werden zu lassen. „Wie überall in Deutschland entscheiden die Finanzämter auch in Hamburg eigenständig“, sagte Scholz im Bundestag. „Eine politische Intervention soll es nicht geben und hat es auch nicht gegeben.“
Das Finanzamt in der Hansestadt hatte Ende 2016 eine Steuer-Rückforderung von 47 Millionen Euro gegen Warburg verjähren lassen. Im Jahr darauf drohten weitere 43 Millionen Euro zu verjähren – was nur verhindert wurde, weil das Bundesfinanzministerium eingriff.
Die Privatbank war ehedem groß im Geschäft mit Cum-Ex-Deals. Dabei schoben beteiligte Institute rund um den Dividendenstichtag Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Ausschüttungsanspruch hin und her. Der Fiskus verlor den Überblick, wem die Papiere gehörten. Er erstattete Kapitalertragsteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Der Schaden für die öffentlichen Kassen geht in die Milliarden.
Die kleinen Parteien sind nicht überzeugt
Beim Wirecard-Skandal ist nicht der Staat der Geprellte. Es sind etliche Aktionäre und Kreditgeber, die den Erzählungen des Managements Glauben schenkten und ihre Investition weitgehend abschreiben müssen. Der Finanzdienstleister aus Aschheim bei München hatte über Jahre hinweg seine Bilanzen aufgebläht und Guthaben im Umfang von fast zwei Milliarden Euro erfunden. Ende Juni meldete der ehemalige Dax-Konzern Insolvenz an. Der Gesamtschaden könnte sich auf mehr als drei Milliarden Euro belaufen.
Dem Sozialdemokraten gelang es am Mittwoch nicht, die Oppositionsfraktionen im Bundestag davon zu überzeugen, dass er bei beiden Vorgängen alles richtig gemacht hat. An diesem Donnerstag wollen Finanzpolitiker von FDP, Linkspartei und Grünen ihren gemeinsamen Antrag zur Einsetzung eines Wirecard-Untersuchungsausschusses präsentieren.
Grüne: „Eine allgemeine Amnesie“
Im Fall Warburg und Cum-Ex wiederum wirft die Opposition Scholz vor, nur scheibchenweise mit der Wahrheit herauszukommen. Bei seinem Auftritt im Finanzausschuss räumte der Minister nach Angaben von Teilnehmern weitere Treffen mit Bankier Olearius ein, ohne Angaben zu den Inhalten zu machen. „Es ist eine allgemeine Amnesie, man kann sich an nichts erinnern“, sagte die Grünen-Finanzexpertin Lisa Paus. Der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach sagte, der Vorwurf der Einflussnahme des ehemaligen Bürgermeisters auf den Hamburger Fiskus sei bei der Ausschusssitzung weder bewiesen noch ausgeräumt worden.