Der Hamburger Regierungschef Ole von Beust stürzt die schwarz-grüne Koalition in Hamburg mit seinem Rücktritt ins Chaos.

Hamburg - Es hat bis zuletzt keiner glauben wollen, dass Ole von Beust dieses Vorhaben wahr macht: einen Rücktritt kurz vor der Schließung der Wahllokale, in denen 1,2 Millionen Hamburger über die Verlängerung der Grundschulzeit auf sechs Jahre entscheiden, das umstrittenste Projekt der seit 2008 an der Alster regierenden schwarz-grünen Koalition.

Aber da war diese ominöse auf Sonntag, 16 Uhr, angesetzte Sitzung des CDU-Landesverbandes in der Parteizentrale am Leinpfad im Stadtteil Winterhude. Nein, nein, da gehe es allein um "neue Mitglieder", hatte eine Sprecherin der CDU beschwichtigend erklärt. Auch der Senatssprecher Markus Kamrad wiegelte stets ab. Wie eine Monstranz trug er stolz den Termin für eine Pressekonferenz am Montag, 11 Uhr, im Rathaus vor sich her, bei der sich der Regierungschef und die grüne Schulsenatorin Christa Goetsch äußern wollten – dies wurde als Anzeichen fürs Weitermachen des Bürgermeisters gedeutet.

Aber am späten Sonntagnachmittag half kein Dementi mehr: Von Beust hatte kurzfristig zu einer Pressekonferenz auf den Spiegel geladen. Der Spiegel ist eigentlich nur ein Treppenabsatz in den ehrwürdigen Hallen des Hamburger Rathauses, aber hier werden alle Staatsgäste empfangen. Weil hier früher einmal ein Spiegel stand, trägt dieser historische Flecken also diesen Namen, und dass an diesem Sonntag ein bedeutender Moment sich ereignen würde, dass bewies schon die Anwesenheit der 92-jährigen Morgenpost-Fotografin Erika Krauß, die, schwarzgewandet und mit breitkrempigem Hut, als eine Art Legende im Hamburger Rathaus gilt.

Er werde lächeln, prophezeiten anwesende Reporter, bevor Ole von Beust verspätet vor das Mikrofon trat. Und in der Tat lächelnd erschien der 55-Jährige gegen 17.40 Uhr zwischen den Steinskulpturen "Gnade" und "Gerechtigkeit" vor den rund zwei Dutzend Kamerateams. Fragen waren nicht gestattet, und er las seine nur fünfminütige Rede vom Blatt ab: Er habe heute seinen Rücktritt beim Präsidenten der Bürgerschaft für den 25. August eingereicht, es sei ein "vernünftiger Zeitpunkt", nach 32 Jahren in der Politik aufzuhören, er sei viermal als Spitzenkandidat der Hamburger CDU angetreten, neun Jahre Bürgermeister gewesen und wolle nun seinem Nachfolger genug Zeit zum Einarbeiten lassen. "Die biblische Erkenntnis, alles hat seine Zeit, gilt auch für Politiker."

Seinen Rücktritt habe er unabhängig vom Volksentscheid sehen wollen, eine Demission auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2009 aber hätte er als verantwortungslos empfunden. Seinen designierten Nachfolger, einstimmig vom CDU-Landesvorstand nominiert, hatte der Noch-Bürgermeister gleich mitgebracht: Innensenator Christoph Ahlhaus, ein aus Heidelberg stammender Jurist, den es 2001 nach Hamburg verschlagen hatte, als er dort den CDU-Wahlkampf organisieren sollte. Ahlhaus hielt eine zweiminütige freie Rede, in der er sich allerdings wiederholte: Er werde in "große Fußstapfen" treten, sagte er, und später betonte er, er werde in "außerordentlich große Fußstapfen" treten. Allerdings weiß auch der als Hardliner und Konservativer eingestufte Ahlhaus um die Gefahr, dass die Grünen sich aus der Koalition verabschieden und ihm die Wahl verweigern könnten, weshalb er flugs mit dem Liebeswerben begann: Er wolle Schwarz-Grün fortsetzen und habe auf seinem Themengebiet mit den Grünen eine "verlässliche Zusammenarbeit" gehabt, obwohl viele geunkt hätten, dass das Innere die "Sollbruchstelle" für die Koalition sein werde.

War es aber nicht. Gerade hatte Ahlhaus sein kurzes Statement beendet, da kippte Erika Krauß von dem für sie als Einzige in der Pressegruppe bereitgestellten Schemel. Es mag die stickige Luft oder die Aufregung gewesen sein, jedenfalls bewies sich Ole von Beust wieder einmal als Grand Seigneur, als aufmerksamer Ehrenmann mit Herz und man versteht, warum das Volk ihn so mochte: Er war als Erster zur Stelle, half der alten Dame auf die Beine, nahm sie in den Arm und schenkte ihr ein breites Lächeln. Dann ein Wink an die Medienvertreter, ein "Auf Wiedersehen und Tschüs" – Ole von Beust verschwand von der politischen Bühne.

Anfeindungen und Probleme


Der Bürgermeister lässt die Hansestadt in allgemeiner Ratlosigkeit in allen Lagern zurück. Er war ein Taktiker und Visionär. Ihm war es gelungen, 2001 das "rote Hamburg" schwarz zu färben, als er die 44 Jahre währende SPD-Regentschaft beendete, indem er mit dem Rechtspopulisten Schill geschirrte und ihn später feuerte. Jahre später holte er die absolute Mehrheit für die CDU an der Alster, und als die bröckelte, installierte er die erste schwarz-grüne Regierung in Deutschland. Sein Rücktritt mag tatsächlich auf Amtsmüdigkeit zurückzuführen sein, der Syltfreund von Beust will wieder ein Privatleben haben.

Der Ärger mit der teuren Elbphilharmonie, der Bürgerzorn über den katastrophalen Winterdienst 2009 und das Milliardenloch bei der HSH-Nordbank mögen zum Rücktrittswunsch beigetragen haben. Auch die Kampagne der "Bild" gegen Beust, dessen Rücktritt sie mit den Worten begrüßte, dass man nun endlich mal eine First Lady bekomme, haben seine Freude an seinem Amt sicher nicht gesteigert. Die CDU liegt in Umfragen nur noch bei 36 Prozent, während die SPD sich auf 39 Prozent emporgearbeitet hatte.

Selbst bei "Wir wollen lernen", den Gegnern der Schulreform, die gestern am frühen Abend in ihrem Kampagnenbüro bei Kartoffelchips und Mineralwasseer erste Erfolge im Mini-Wahlbezirk Franzosenkoppel feierten – 66 Prozent gegen die Reform – machte sich allgemeine Nachdenklichkeit breit: Nein, er bedauere den Rückschritt von Ole von Beust nicht, sagte der Kampagnenleiter Jürgen Jeske: "Das hat er sich doch selbst zuzuschreiben." Andererseits fürchtet Jeske das Heraufziehen einer rot-grünen Regierungswolke am Horizont, und die ist für ihn dunkel: "Rot-Grün macht mir Angst. Die haben doch beide die Einheitsschule in ihrem Programm."

Es ist früher Sonntagabend im Hamburger Schanzenviertel, an der Straße Am Schulterblatt, der alternativen Flaniermeile der Stadt, sind die unzähligen orientalischen Freiluftwirtschaften gut besucht. Neben der besetzten Theaterruine der "Roten Flora", wo Obdachlose campieren, liegt das Kulturhaus 73, und hier haben die Befürworter der Schulreform, der Verein "Chancen für alle", ihre Wahlparty begonnen. Aber rechte Stimmung mag bei Astra-Bier nicht aufkommen. Dies ist das Terrain der Grünen, der SPD und der Linken – und dennoch wird hier Ole von Beusts Rücktritt bedauert. "Ich finde es schade, dass er geht. Der stand doch für eine progressive CDU", sagt eine junge Frau. Eine Kulturwissenschaftlerin hat freiwillig vier Monate lang für die Befürworter als Koordinatorin gearbeitet, jetzt will sie ausspannen, feiern und nicht Trauer tragen: "Ich glaube, dass die Grünen die Koalition platzen lassen. Dann gibt es eine neue Regierung, und dann hat unser ganzes Wirbeln doch noch seinen Sinn gehabt."

Jobst Fiedler, der Sprecher von "Chancen für alle", äußert seinen Respekt für Ole von Beust. Sein Schritt sei nachvollziehbar, wenngleich es unglücklich gewesen sei, dass der Rücktrittswunsch schon zwei Tage vor dem Volksentscheid durchgesickert sei. Jobst Fiedler ist Wirtschaftsprofessor und hat ehrenamtlich für die Schulreform geworben. Nach einem kurzen Gespräch bittet Fiedler, ihn zu entschuldigen, er müsse jetzt noch dringend ins Hamburger Rathaus. Der Mann ist seit vielen Jahren SPD-Mitglied