Ihr Romandebüt „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ war das Ereignis des Frühjahrs. Bei dem Wort Migrationshintergrund läuft ihrer Heldin die Galle über. Der Autorin geht das nicht anders. Trotzdem wird Olga Grjasnowa immer danach gefragt, wie sie Stefan Kister erzählt hat.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Noch bevor man das Buch zu lesen beginnt, hat man das Bild seiner Autorin vor Augen: sehr hübsch aus dem grauen Nichts in eine lockende Zukunft blickend, mit großen Augen, wie eine Katze. Seht, sagt dieses Bild: diese gut aussehende junge Frau hat viel durch gemacht und wird uns noch viel Freude bereiten; sie kommt aus Baku, ist hochtalentiert und hat einen glänzenden Roman geschrieben, über eine schöne junge Frau, die aus Aserbaidschan nach Deutschland . . .

 

Seitdem ihr Romandebüt „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ zum Paradebeispiel einer von Migrationsleid getränkten Selbsterfahrungsprosa hochgebetet wurde, trägt Olga Grjasnowa schwer am Schicksal ihrer Heldin. Alle wollen von ihr wissen, wie es ist, solche Dinge wie diese Mascha zu erleben. Man schnuppert gierig die Bürgerkriegswirren ihrer aserbaidschanischen Kindheit aus ihr heraus, lauert auf dieses wunderbar wurzellose Wesen ihrer Protagonistin, diesen typisch migrantischen Lebenshunger. Ist man erst einmal in diesem Literatursegment eingemeindet, werden einem rasch elementare poetische Bürgerrechte aberkannt, wie das der Differenz zwischen dem Autor und seiner Figur.

Im Unterschied zu Mascha ist sie sehr behütet aufgewachsen

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: die junge Frau, die sich in einem Möhringer Biergarten unter einer großen Linde (keiner Birke) darauf vorbereitet, wenig später bei der Lesung in einer nahen Buchhandlung wieder einmal über ihre biografischen Traumata befragt zu werden, hat wirklich einen großartigen Roman geschrieben. Katzenaugen hat sie auch. Aber zum einen mag sie keine Katzen. Und zum anderen besteht die Qualität ihres Buches gerade darin, ein Lebensgefühl zu artikulieren, das mit Karacho den Dunstkreis wohlmeinend gehegter Spezialliteratur mit Migrationshintergrund durchdringt. Und überhaupt ist das Multisexuelle für ihre Protagonistin mindestens ebenso bezeichnend wie das Multikulturelle. „Nur danach fragt keiner“, sagt sie – zumindest nicht mit diesem gierigen Seitenblick auf leibhaftig Erlebtes. Zum Glück.

Mag Mascha auch Frauen lieben, Olga Grjasnowa mag Hunde, seit ihrer Kindheit, am liebsten Bernhardiner. „Ich bin sehr behütet aufgewachsen“, erzählt sie, brav in ihrem zweiten Kräutertee rührend – die jungen Leute in ihrem Roman hätten vermutlich schon ihren zweiten Joint geraucht. „Meine Biografie ist langweilig. Ich bin irgendwann nach Deutschland gekommen, aber das gilt mittlerweile ungefähr für zwanzig Prozent der Bevölkerung.“

Nach Lektüre einiger Olga-Grjasnowa-Porträts hätte man eine leicht manische, multipel begabte Schnelldenkerin erwartet: zielstrebig, karrierebewusst, rundumglobalisiert. Man trifft stattdessen eine bescheidene, neugierige junge Frau, die dankbar quittiert, einmal nicht nur als Bauchrednerin eines Alter Ego gefragt zu sein – jemanden, der sehr bewusst formulieren, aber umso unwillkürlicher lachen kann.

Olga Grjasnowa – Von Baku nach Leipzig

Ihre Familie verließ 1996 Baku in Richtung Deutschland, „russisch-jüdische Kontingentflüchtlinge“ heißt das in dem Behördendeutsch, das Grjasnowa lustvoll zitiert. Und das erinnert nun wirklich an Mascha aus dem Roman, der bei dem Wort „Migrationshintergrund“ immer die Gallenflüssigkeit hochkam – „schlimmer wurde es lediglich bei dem Adjektiv ,postmigrantisch‘“. 1996 war sie zwölf, der Vater Anwalt, die Mutter Klavierlehrerin. Dem lebhaft-drängenden Puls ihrer Prosa zum Trotz hat sie die Musikalität der Mutter nicht geerbt. „Ich kann nicht einmal rhythmisch klatschen“ – einer der Gründe, aus denen sie ihr jüngstes Studium, Tanzwissenschaften, in Berlin nach einem Semester wieder abgebrochen hat.

Ganz nebenbei: was macht man eigentlich als Tanzwissenschaftler? „In der Kulturgeschichte des Tanzes gibt es sehr viele politische Bezüge“, sagt Grjasnowa. „Wie wirkt sich die Normierung des Körpers aus? Welche Zwänge sind dabei am Werk?“ Interessante Fragen, zu deren Beantwortung sie allerdings, obwohl sie sich ein theoretisches Studium erhofft hatte, den Anweisungen gescheiterter Choreografen hätte folgen müssen – weniger mit dem Kopf als mit ihrem „noch sehr unerfahrenen Körper“. Eigentlich wollte sie ja auch viel lieber Military Studies in Potsdam studieren: „Ein bisschen Militärsoziologie, ein bisschen organisiertes Verbrechen.“ Dort aber seien junge Männer mit Seitenscheitel bevorzugt worden, sie habe es nicht einmal in die erste Bewerbungsrunde geschafft.

Das klingt schon ein wenig nach Studiennomadentum, zumal wenn man noch einige Semester – was war das noch einmal gleich – in Göttingen hinzunimmt. Aber erstens stand das Berufsziel fest, spätestens, seitdem die kleine Olga beim Schreibwettbewerb eines oberhessischen Energieversorgers den dritten Platz belegte, zweitens verfügt sie über ein abgeschlossenes Studium am Leipziger Literaturinstitut, und drittens richten sich ihre universitären Bestrebungen konsequent nur auf das, was ihrem Schreiben nützt. Und da ist der Weg vom Militär zum Tanz gar nicht so weit. Zumindest sind in beiden Disziplinen jene Grundbegriffe von Belang, um die ihre ganze literarische Arbeit eigentlich kreist: Körper und Gewalt.

Ihre Methode heißt Recherche

Sie war viel in Krisenregionen unterwegs, hielt sich längere Zeit in Israel auf. Überall in der Welt, davon ist sie überzeugt, kann die in einer Gesellschaft gebundene Gewalt binnen kürzester Zeit entfesselt werden, immer nach derselben Methode. Darum wird es auch in ihrem zweiten Buch gehen: um die Zurichtung des Begehrens und die Ausschlussmechanismen der Sexualität, die denen auf nationaler Ebene gleichen. „Der Körper wird sofort abgestempelt, sobald etwas anders ist. Der schwule Mann ist kein richtiger Mann, eine lesbische Frau ist keine richtige Frau. Darüber recherchiere ich gerade.“

Wohlgemerkt Recherche. So wie ihr erster Roman auf akribischer Recherche über posttraumatische Belastungsstörungen und die Hintergründe des armenisch-aserbaidschanischen Konflikts beruhte. Aber vermutlich werden die Besucher ihrer Lesung nachher wieder das Bild im Buch prüfend mit ihr vergleichen und dezent nach Malen des Erlittenen fahnden. Sie werden fragen, warum sie so gut Deutsch spricht und wie man sich so fühlt als Mascha.

Olga Grjasnowa – „Der Russe ist einer, der Birken liebt“

Olga Grjasnowa wurde 1984 in Baku, Aserbaidschan, geboren und wanderte 1996 nach Deutschland aus. Die Absolventin des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig lebte längere Zeit in Polen, Russland und Israel. In diesem Jahr erhielt die Wahl-Berlinerin ein Stipendium der Hermann-Lenz-Stiftung. Im Mittelpunkt ihres ersten Romans „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ steht die junge Aserbaidschanerin Mascha, die als Immigrantin in Deutschland lebt. Sie plant ein Karriere bei den UN, als ihr Freund Elias tragisch stirbt. Sie flieht nach Israel, gerät dort aber zwischen alle Fronten – religiös, sexuell, politisch.