Oliver Stone verfilmt Don Winslows Krimi, er kann sich aber stilistisch nicht entscheiden.

Stuttgart - Der letzte großartige Film von Oliver Stone kam 1999 ins Kino, er heißt „An jedem verdammten Sonntag“ und ist ein Ungetüm. Es geht um Football, Stone klebte die Kamera an die Helme der Spieler, die Bilder wackeln, sie zeigen den Kampf auf dem Rasen in Zeitlupe, dann wieder so stark beschleunigt, dass dem Zuschauer die Augen tränen. Hinzu kommt der Sound, er verstärkt das Krachen der Knochen, das Spritzen des Bluts, das Stöhnen und Schnaufen; Hip-Hop-Beats rhythmisieren es, die Gitarren der Band Metallica hacken mitten rein. „An jedem verdammten Sonntag“ mit Al Pacino als Coach und Cameron Diaz als Vereinsbossin ist der gelungene Versuch, die Form des Films zur Botschaft zu machen: Die Zuschauer erlebten, wie hart das Geschäft ist, von dem diese Geschichte erzählt. Nach 150 Minuten war man auch körperlich am Ende.

 

Wer solch einen Film dreht, ist ein Radikaler, und er muss die Bücher von Don Winslow lieben, dem Extremisten des Krimis. Der amerikanische Autor schrieb die Vorlage für Oliver Stones neue Regiearbeit, im Original heißt der Roman „Savages“, bei uns „Zeit des Zorns“. Winslow ist 58 Jahre alt, er veröffentlichte viele Jahre ohne Resonanz, dann kam der Ruhm. Die Leser erkannten, wie zeitgemäß Winslows Art zu erzählen ist, wie gut er Texte beschleunigen kann, wie wahrhaftig er schreibt.

Heiß begehrte Problembraut

In „Zeit des Zorns“ geht es um zwei Freunde am Rand von Los Angeles, sie bauen Marihuana an, kreuzen Pflanzen, erhöhen so die Wirkung und können den besten Stoff der USA verkaufen. Der eine von ihnen, Chon, ist Afghanistanveteran, er hat alle Grausamkeiten gesehen, ein traumatisierter Elitekiller von Ende 20. Der andere ist Ben, er sucht Erleuchtung, er kennt sich aus mit Pflanzen, und beide lieben die blonde Ophelia, kurz O, von den Eltern benannt nach „Hamlets bipolarer Problembraut“.

Ben und Chon geraten ins Visier des mexikanischen Baja-Kartells, es will mit den unabhängigen Dealern kooperieren, und als die ablehnen, gibt es Krieg. Winslow recherchierte fünf Jahre in Amerikas „War on Drugs“ an der südlichen Grenze, und in Interviews betont er immer wieder, sein Land habe keinen längeren und grausameren Krieg geführt als diesen. Es existiere keine Perversion und keine Foltermethode, die dort nicht bereits hinlänglich durchexerziert worden seien.

Und so liest sich „Zeit des Zorns“ wie eine Dämonenaustreibung: Winslow benutzt eine atemlose, getriebene Sprache, und er wird im Verlauf der dreihundert Seiten immer wütender, sardonischer und böser. Der Text tut weh, Einwortsätze schneiden ins Fleisch, der Humor ist vergiftet, auf mancher Seite stehen nur zwei Wörter, die Zeilenumbrüche erinnern an Gedichtbände, machen den Exzess sichtbar. Klar, dass Oliver Stone darauf aufmerksam wurde. Er kaufte die Rechte, und als man davon erfuhr, dachte man: „Zeit des Zorns“ mit den Mitteln von „An jedem verdammten Sonntag“, das könnte etwas werden.

„Savages“ heißt nun also der Film, der aus dem Buch entstanden ist, und es ist durchaus ein vitales Stück Kino geworden, ein kurzweiliger Thriller, aber doch nicht mehr. Oliver Stone kann eine Geschichte in Flammen aufgehen lassen. Er ist ein Kraftmeier, eine Nervensäge, als sein Lieblingsfilm gilt „Außer Atem“ (1960) von Godard, das visuelle Ur-Ereignis des modernen Rebellen, und das intellektuelle Panzerarmband legte Stone nie mehr ab. Was die großen Arbeiten von Stone aufregend macht, ist ihr Zeitbezug. Der 66-Jährige dramatisiert die Gegenwart, in „Wall Street“ etwa, er arbeitet heraus, was an den Ereignissen der Geschichte für uns von Bedeutung ist – „JFK“ und „The Doors“ sind die besten Beispiele. Stone denkt alles mit: Vietnam und John Wayne, California Dreaming und Tellerwäscher-Traum, Verschwörung und Sonnenuntergang. Er kann extreme Gefühlslagen abbilden.

Umbringen, wegschaffen, erpressen

Bei „Savages“ indes mochte er sich nicht entscheiden, was das für ein Film werden und wo er stehen sollte. „Savages“ pendelt zwischen Farce und Drama. Er kommt als halluzinatorische Rückblende der Strandschönheit O (Blake Lively) daher; es gibt Stellen, da fühlt man sich an die Kifferkomödien mit Cheech und Chong erinnert, dann solche, die die Trash-Ausbrüche von Roberto Rodriguez zitieren, und das Ende wird in zwei alternativen Fassungen geliefert. Stone steckt Benicio Del Toro in eine lächerliche Verkleidung, er spielt die rechte Hand der Kartellchefin Elena (Salma Hayek) und erledigt die groben Arbeiten: umbringen, wegschaffen und erpressen. Es  gibt die üblichen Stone-Manierismen, schwarz-weiße Bilder gehen in farbige über, und auf landschaftliche Schwelgereien folgen grausame Folterfantasien.

Wenn es Stone allerdings um den Horror des Drogenkriegs gegangen wäre, wie er betont, hätte er einen anderen Film drehen müssen. Er hätte das in großen Teilen allzu idyllische Setting nach Mexiko verlagern, schmutzige statt schöne Menschen zeigen, ja: ehrlicher, engagierter sein müssen. Was bleibt, ist sarkastisches Effektkino.