Das olympische Feuer macht 2016 Station in Brasilien. Dann richtet Rio de Janeiro die Sommerspiele aus. Die Stadt will bei den Vorbereitungen die sozialen Probleme eigentlich in den Griff bekommen – verschiebt sie aber bloß.

Rio de Janeiro - Als Rio de Janeiro am 3. Oktober 2009 den Zuschlag für die Olympischen Spiele erhielt, hüpfte Eduardo Paes, Rios jugendlicher Bürgermeister, vor Freude in die Luft, und so, im Sprung, hielten ihn damals die Kameras fest. Dass Rio und Paes mit ihren Spielen in vier Jahren eine Bauchlandung machen – nein, so schwarzseherisch sind die Brasilianer nicht, und Paes schon gar nicht. Aber ein bisschen bang dürfte den Verantwortlichen insgeheim jetzt schon geworden sein: Kriegen wir das so gut hin wie die Briten?

 

Im Vergleich mit dem Chronogramm von London liegt Rio kräftig zurück. Die Briten gründeten die Olympic Delivery Authority, die die Oberaufsicht über die Bauten hatte, sechs Jahr vor ihren Spielen. Die entsprechende Behörde wurde in Rio erst fünf Jahre vor 2016 aus der Taufe gehoben. Und vor allem: sie kommt nicht in die Puschen. 2011 war die Autoridade Pública Olímpica im Wesentlichen mit der Besetzung ihrer Pöstchen beschäftigt. Ende Juni hatte sie gerade 2,2 Prozent ihres Etats für 2012 ausgegeben. Kein Wunder, dass bei dieser Gemächlichkeit der Bau des Olympia-Parks in Rio, verglichen mit dem von London vor vier Jahren, um ungefähr ein Jahr hinterherhinkt. Mit dem beliebten brasilianischen Hinweis, dass die Karnevalsumzüge ja auch immer in der aller-, allerletzten Minute fertig würden, werden sich die Damen und Herren der Ringe freilich nicht lange abspeisen lassen.

Der Zeitplan sei „extrem eng“, sagt das IOC

Noch hält sich das Internationale Olympische Komitee mit Kritik zurück. „Extrem eng“ sei der Zeitplan, sagte die Marokkanerin Nawal El Moutawakel lediglich, die beim IOC für Rio zuständig ist. Dass die Brasilianer weniger Hotelzimmer bauen lassen, als vom IOC gefordert, gefällt ihr ebenso wenig wie das Provisorium, während der Spiele Kreuzfahrtschiffe zu chartern und im Hafen zu vertäuen. Aber trotz des engen Zeitplans – Olympia hat den Vorteil, erst nach der Fußball-WM stattzufinden. Wenn die Verkehrsinfrastruktur nicht rechtzeitig fertig wird, dann trifft es die Fifa und nicht das IOC. Denn was bei der WM schiefgeht, werden die Brasilianer bei Olympia garantiert richtig machen.

Paes’ Leute haben für Rio ins Feld geführt, die Spiele böten die Chance zu einer umfassenden Modernisierung der Stadt, während die Mitbewerber Chicago, Tokio und Madrid ja längst modern seien. Aber das stimmt nur bedingt, wie der Vergleich mit London zeigt: Während die Briten verfallene, ökologisch belastete Industriebrachen für die Spiele auf Vordermann brachten, kommt Rios Olympia-Park nach Barra, wo die obere Mittelklasse wohnt.

Und überhaupt – wie sieht die Modernisierung aus? In den zwölf WM-Städten, also auch in Rio, drohe 150.000 Familien die Zwangsumsiedlung, klagt Raquel Rolnik, die brasilianische UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen; dass diese jemals eine gerechte Entschädigung bekommen, darf man getrost bezweifeln. Die Planung für beide Großereignisse, sagt Rolnik, sei sprunghaft und an den Geschäftsinteressen der Investoren ausgerichtet. Die Chance auf soziale Modernisierung sei vertan.

Die Drogenbosse sieht man nicht mehr

Die U-Bahn-Planung bestätigt Rolniks These: Rios U-Bahn-Netz besteht aus einer Linie, oder zweien, wenn man die Schenkel des Y als zwei Linien ansehen will, das die Bahn bildet. Auch wenn neue Züge eingesetzt, die Passagierzahlen von täglich 600.000 auf gut das Doppelte steigen werden: verlängert wird der senkrechte Balken, also die Verbindung zwischen der wohlhabenden Süd-Zone und Barra. Die heruntergekommenen Stadtbahnen, mit denen man andere der vier Spielstätten-Quartiere erreicht, sollen demnächst neue Züge erhalten. Daraus können die Olympiagäste dann staunend auf die städtischen Favelas starren, durch die die Bahntrassen führen.

Seit München 1972 sind alle Spiele Hochsicherheits-Veranstaltungen. In Rio wird das nicht anders sein, auch wenn die Brasilianer Terrorakte radikaler Araber gerne als europäisches Phänomen ansehen. In Rio steht eher der hausgemachte Terror im Vordergrund: das Gewaltpotenzial der Drogenmafia. Der Staat hat seit 2009 einiges dagegengesetzt und durchaus Erfolg damit gehabt. Die Polizei, unterstützt vom Militär, hat die Favelas besetzt und die Drogenhändler mit ihrem Stoff und ihren Waffen vertrieben.

Aber wenn man auf dem Stadtplan die besetzten – „befriedeten“ – Viertel sucht, sieht man, worum es geht: die WM und Olympia abzusichern. Denn die besetzten Gebiete liegen im Groben genau dort, wo sich Sportler und Zuschauer bewegen müssen. Der Nachteil liegt auf der Hand: Das soziale Problem wird nur dorthin verschoben, wo es die Gäste nicht stört.