Ein olympischer Tag mit Alfons Hörmann: Bei den Spielen ist der DOSB-Boss mehr Fan als Funktionär – was er sichtlich genießt. Den 55-jährigen Allgäuer fasziniert an Olympischen Spielen die Vielfalt, der bunte Mix aus Nationalitäten, Hautfarben, Religionen. Also will Hörmann in Rio jede Sportart mindestens einmal besuchen.

Rio de Janeiro - Jeder Posten bringt Privilegien. Und je höher die Position, umso größer fallen die Vorteile aus. Alfons Hörmann ist der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), aber keiner, der die Autorität des Amtes ausnutzt. In Rio de Janeiro hat er zwar ein eigenes Auto samt Chauffeur - aber keinen Freifahrtschein. Normalerweise. Doch an diesem Morgen ist alles anders. Am ersten Checkpoint auf der Straße hinein in den Olympia-Park von Barra gibt es noch kleinere Diskussionen, aber dann ist der Weg frei. Weil die Sicherheitsbeamten eifrig damit beschäftigt sind, andere Autos zu kontrollieren, lenkt der Fahrer den dunklen Nissan mit dem schwarz-rot-goldenen Fähnchen auf dem Armaturenbrett zur nächsten Schleuse – und die ist unbesetzt. Niemand filzt das Auto, niemand die Insassen, niemand deren Taschen. Was den einen besorgt, nimmt der andere mit Humor. „Der DOSB ist nicht zu bremsen“, sagt Hörmann mit einem Grinsen, „heute könnten wir wohl fahren bis auf die Ehrentribüne.“ Willkommen bei den Olympischen Spielen!

 

Hörmann ist blendender Laune. Er hat wie immer einen vollen Kalender. Doch die Termine sind Lust, keine Last. Den 55-jährigen Allgäuer fasziniert an Olympischen Spielen die Vielfalt, der bunte Mix aus Nationalitäten, Hautfarben, Religionen. Und Sportarten. Heute taucht er ein in diesen pulsierenden Mikrokosmos, in dem die Welt symbolisiert wird durch fünf Ringe. Aus dem Funktionär Hörmann wird der Fan Hörmann. In dunkelgrauer Jogginghose und offiziellem T-Shirt des deutschen Teams.

Den 55-jährigen Allgäuer fasziniert an Olympischen Spielen die Vielfalt

Erste Station ist die Fechthalle. Peter Joppich liegt gegen Enzo Lefort weit zurück, als dem Franzosen mitten im Duell sein Smartphone aus der Gesäßtasche fällt. Joppich ficht das nicht an, er hebt das Handy auf, gibt es seinem Gegner und bringt diesen mit seiner lässigen Reaktion völlig aus dem Konzept. Er gewinnt noch 15:13, Alfons Hörmann klatscht Beifall und macht sein erstes Siegerbild des Tages. Später scheidet Mitfavorit Joppich im Achtelfinale aus. Als der DOSB-Chef das hört, versetzt es ihm einen Stich. Wieder eine Hoffnung weniger auf die erste deutsche Medaille.

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Weiter geht es zum Handball. Auftakt des Europameisters. Auf dem Weg hinauf zum Eingang prüft Hörmann, 30 Jahre lang in der Baubranche tätig, mit kritischem Blick die Qualität der beim Hallenneubau verwendeten Materialen. Er scheint zufrieden. Pünktlich zum Anpfiff betritt er die Tribüne. Tempo, Taktik, Tore – er ist hin und weg. Neben ihm sitzt ein freundlicher Afrikaner, doppelt so breit wie der drahtige Deutsche. Ein kurzes Hallo, dann wird klar: Es ist der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees von Togo. Hörmann ist begeistert. Davon, wie einfach Olympia die Menschen zusammenbringt. Und vom 32:29-Erfolg der deutschen Handballer. Das nächste Foto. Und ein gemeinsamer Schlachtruf mit Judo-Olympiasieger und DOSB-Vizepräsident Ole Bischof: „Olé, Ole!“

Wie alle Athleten, so hat auch Hörmann bei den Spielen ein ehrgeiziges Ziel: Er will jede Sportart mindestens einmal besuchen. Das ist nicht ganz einfach, schließlich muss Hörmann während der Spiele auch viele Pflichttermine wahrnehmen – vom President’s Dinner bei IOC-Boss Thomas Bach über Pressekonferenzen im Deutschen Haus bis zum Live-Interview im ARD-Mittagsmagazin. Dafür, dass alles reibungslos läuft, ist Neele Koch zuständig. Die Assistentin von Hörmann koordiniert, telefoniert, dirigiert. Und lobt ihren Chef: „Er bringt die Dinge voran, die er sich in den Kopf setzt. Und er hält das Tempo hoch.“

DOSB-Präsident Hörmann liebt die Ästhetik des Turnens

Während sie das sagt, ist Hörmann schon vorangeprescht. Zum Spiel von Angelique Kerber in die Tennisarena. Wieder stimmt das Timing. Hörmann kommt pünktlich zum ersten Satzball, am Ende fegt Kerber bei starkem Wind die Kolumbianerin Mariana Duque Marino vom Platz. Erneut ein Siegerfoto, dann noch schnell ein Selfie mit Ehefrau Cordula und Chris, einem der drei Söhne. Und schon geht es im Eilschritt weiter. Wie bei der Herausforderung, die er vor drei Monaten bewältigt hat.

975 Kilometer legte Hörmann in vier Wochen auf dem Jakobsweg zurück. Nur für sich, ohne Assistentin, ohne Medien, ohne Brimborium. Der überzeugte Christ wollte Kraft tanken, für Körper, Geist und Seele. Seine Hoffnungen haben sich erfüllt. Nun zehrt er davon, und manchmal werden seine Werte ganz schön auf die Probe gestellt. Zum Beispiel wenn es um das staatlich gelenkte, systematische Doping in Russland geht, das er als „Höchststrafe für den Sport“ bezeichnet.

Hörmann findet es trotzdem nach wie vor richtig, dass das IOC auf den kompletten Rio-Ausschluss der Russen verzichtet und die Verantwortung an die Fachverbände delegiert hat – weil genau diese dafür zuständig seien. Weniger gut findet er, dass mehr als 280 Russen bei Olympia starten. Hörmann hatte sich, das sagt er deutlich, eine strengere Prüfung durch die einzelnen Verbände und damit eine kleinere russische Mannschaft erhofft. Er äußert aber auch Verständnis für die Kritiker, die ein noch klareres Zeichen gegen Doping vermisst haben: „Am Ende hatte das IOC die Wahl zwischen Pest und Cholera.“ Und der Zustand des stark angegriffenen olympischen Sports könnte sich sogar noch einmal verschlechtern – wenn zum Beispiel mehrere Russen in Rio auffliegen oder als strahlende Sieger über Gebühr feiern würden. „Dann“, befürchtet Hörmann, „würde die Stimmung auch hier bei den Spielen womöglich kippen.“

Mittlerweile ist er an der Turnarena angekommen. Im Vip-Bereich wirft er ein paar Häppchen ein. Die typische Nahrung eines Getriebenen bei Großveranstaltungen. Und auch der Wettkampf schmeckt Hörmann. Weil er die Ästhetik beim Turnen mag. Und weil es die deutschen Frauen erstmals in ein olympisches Team-Finale schaffen. „Turnen“, sagt er, „könnte ich stundenlang schauen.“ Was folgt? Richtig: ein Foto. Und ein Trip mit dem Auto.

Es geht an die Copacabana. Und zum letzten Foto des Tages. Beim Beachvolleyball wummern die Bässe, die Luft riecht nach Meersalz. Laura Ludwig und Kira Walkenhorst gewinnen ihr Auftaktspiel problemlos, Hörmann lässt sich von der lockeren Stimmung anstecken, obwohl noch ein bisschen Arbeit auf ihn wartet. Im Hotel muss er drei längere Texte durchlesen. In einem geht es um die wichtige Strukturreform, die nach Olympia ansteht. Um kurz vor Mitternacht endet der olympische Tag so, wie er morgens um 7 Uhr begonnen hat: Hörmann beantwortet E-Mails, informiert sich im DOSB-Pressespiegel und Internet darüber, was außerhalb seiner Wahrnehmung passiert ist. Dann befindet er sich wie in einem Tunnel. Cordula Hörmann kennt das, und sie akzeptiert es, auch wenn sie einst keinen DOSB-Präsidenten geheiratet hat: „Er lebt dieses Amt“, sagt sie über ihren Ehemann, „es füllt ihn aus. Und es erfüllt ihn.“ Auch ohne Freifahrtschein. Den hat es nur einmal gegeben. Mit Sicherheit.