Die deutsche Biathletin Laura Dahlmeier ist seit März 2016 bei internationalen Großereignissen stets Podiumsgast – und die Gold-Favoritin im Sprint-Wettbewerb.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Pyeongchang - Auf dem Gipfel fühlt sie sich frei, dort spürt sie die Vollkommenheit und ist eins mit sich selbst. Am Fuße der Zugspitze wurde Laura Dahlmeier in Garmisch-Partenkirchen geboren, in den Bergen fühlt sie sich daheim. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich das Massiv in den Alpen befindet, in den Anden oder im Himalaja.

 

Wenn die Biathletin in Höhen von 6000 Metern und mehr klettert, kostet es sie zwar Kraft, doch das gibt ihr die mentale Stärke, ohne die man als Biathletin verloren ist. Ohne die man beim letzten Schießen in Führung liegend nur drei statt fünf Scheiben abräumt und man sich im Ziel auf Platz zwölf statt auf dem Podium wiederfindet. „Ohne Berge würde mir etwas fehlen“, bemerkt sie, „man lernt dort oben, sich voll und ganz auf den Moment zu konzentrieren – und das ich auch im Biathlon ganz wichtig.“

Herausragendes Gesamtpaket

Bei den Winterspielen gehört die Bayerin zu den Goldanwärterinnen, wenn die Skijägerinnen an diesem Samstag (12.15 Uhr) im Sprint um Medaillen kämpfen. Die 24-Jährige stand seit dem 5. März 2016 in jedem Weltmeisterschaftsrennen-Rennen auf dem Podium, was beweist, dass sich die siebenmalige Weltmeisterin auf den Punkt konzentrieren kann. Nach einer Erkältung startete sie mäßig in diesen Winter, je näher die Spiele kamen, umso mehr fand sie zu der Laura Dahlmeier, die bei der WM 2017 fünf Titel abgesahnt hatte. Dass sie Ausrutscher wie Platz 48 im Januar in Ruhpolding im Einzel (dem schlechtesten Ergebnis ihrer Karriere) nicht aus der Spur werfen, unterstreicht ihre mentale Unerschütterlichkeit. „Bei ihr ist das Gesamtpaket das Herausragende“, lobt Bundestrainer Gerald Hönig.

Vielleicht steht Laura Dahlmeier nach dem Sprint wieder auf einem Gipfel; das Podium in Südkorea liegt zwar nur auf knapp 1000 Metern, doch wenn etwas um ihren Hals baumelt, fühlt es sich ähnlich an wie im Himalaja. „Das lässt sich gut vergleichen“, sagt sie, „wenn ich mein Ziel erreicht habe, herrscht in meinem Kopf tiefe Stille – auch wenn um mich herum Trubel ist.“

Höhenrausch Öffentlichkeit

Dieses Gipfelglück hat seinen Preis, dieser gefährliche Höhenrausch heißt Öffentlichkeit. Seit dem goldenen Februar 2017 veranstalten Fans, Sponsoren und Medien einen Tanz um die Biathletin wie einst die Juden um das goldene Kalb. Wenn man so gestrickt ist wie Laura Dahlmeier, braucht man diese ungehemmte Aufmerksamkeit wie einen Wetterumbruch in der Wand – Empfänge, Interviews, Ehrungen, Foto- und Sponsorentermine sind nicht Lauras Welt.

Neuner fühlt mit

Magdalena Neuner kann mitfühlen, was da über ihre Nachfolgerin hereingebrochen ist. Sie hat das auch erlebt. „Ich war erst 19 als ich reingeworfen wurde in den Weltcup und die WM“, erzählt die Rekordweltmeisterin, „dann holte ich WM-Gold – das hat mich überrollt. Ich konnte schwer damit umgehen.“ Plötzlich klingelten fremde Menschen vor der Haustür in Wallgau und baten um ein Autogramm. Magdalena Neuner lernte erst nach und nach, sich in dieser neuen Welt zurecht zu finden. Sie musste erkennen, dass sie nicht jedermanns Liebling sein konnte, irgendwann war ihr bewusst, dass sie auch einmal nein sagen muss.

Ein Geben und Nehmen

Es ist ein Geben und Nehmen, nicht zuletzt können erfolgreiche Biathleten durch die Live-Übertragungen und Medienberichte, die Sponsoreninteresse generieren, gut von ihrem Sport leben – für einen Weltcup-Sieg gibt es 13 000 Euro Prämie. Stars wie Laura Dahlmeier oder Martin Fourcade bei den Männern kommen auf ein sechsstelliges Jahreseinkommen. „Je schneller man mit dem Trubel klarkommt, und da bleibt einem keine Wahl, umso besser ist es für den sportlichen Bereich“, sagt Neuner.

Der Deutsche Skiverband (DSV) ist bemüht, seine Vorzeigefrau nicht im Scheinwerferlicht der Kameras zu verheizen. Interview-Termine werden rigide erteilt, nach den Wettbewerben steht die 24-Jährige nur so lange wie unbedingt nötig in der Mixed-Zone – und sie selbst behält ihr Privatleben fast völlig für sich. „Laura ist ein bissel besser vorbereitet als ich es war, sie ist außerdem ein anderer Typ als ich“, erzählt Magdalena Neuner, die mit 25 Jahren ausgestiegen und heute zweifache Mutter ist, „sie ist abgeklärt genug, sie kann damit umgehen.“

Wenn Laura Dahlmeier Ende Februar aus Südkorea in die Bergwelt Oberbayerns zurückkehrt und womöglich mehrere Medaillen im Gepäck stecken, wird sie schauen, dass sie so schnell wie möglich das Glück auf dem Berg wieder fühlt statt dem auf dem Podium. Wahres Gipfelglück spürt man eben nur bei tiefer Stille.