Der Skisprung-Bundestrainer Werner Schuster stellt seine Hoffnungsträger vor, die bereits an diesem Samstag um die Medaillen mitspringen wollen. Klar ist: Richard Freitag geht als Anführer des deutschen Teams vom Schanzentisch.

Pyeongchang - Es ist nicht leicht, als Skispringer eine ganze Saison lang in der Spur zu bleiben. Einen Höhenflug nach dem anderen zu landen. Schließlich jagt ein Großereignis das nächste. Erst Vierschanzentournee, dann Skiflug-WM in Oberstdorf, nun Olympische Spiele – in sechs Wochen geht es um alles. Zeit zur Regeneration? Bleibt keine. Nur 63 Stunden nach dem letzten Weltcup in Willingen stand 10 000 Kilometer entfernt in Pyeongchang schon das erste Training an. Das kann stressen. Aber auch motivieren. „Es ist doch ein Privileg, dass wir so viele Wettkämpfe machen dürfen“, sagt Andreas Wellinger, der sich auch um die Zeitumstellung nicht sorgt: „Am Ende ist der Biorhythmus sowieso ein Sauhund.“

 

Hellwach und voll auf der Höhe müssen die Skispringer erstmals an diesem Samstag (13.35 Uhr/MEZ) sein, wenn ihr Wettbewerb von der kleineren Normalschanze ansteht. Dann geht es natürlich um ihre eigenen Ziele, aber auch noch um ein bisschen mehr – zusammen mit den Biathletinnen (Sprint um 12.15 Uhr/MEZ) sollen die Skispringer dem deutschen Team einen glänzenden Olympia-Auftakt bescheren. Stark genug dafür sind sie, davon ist Bundestrainer Werner Schuster überzeugt. Für unsere Zeitung stellt er sein Team vor.

Der Vorspringer: Richard Freitag

Er hat diese Saison schon WM-Bronze im Skifliegen und drei Weltcupspringen gewonnen, ist unglaublich konstant. Dafür gibt es drei Gründe: Er hat einen persönlichen Reifeprozess hinter sich, kann jetzt besser herausfiltern, wann er gelassener sein sollte, wann er anziehen muss, wann er sich selbst vertrauen kann. Dann hat er sich durch seinen Umzug nach Oberstdorf viele, viele Kilometer eingespart, dadurch mehr Ruhe in sein Training bekommen. Und drittens ist sein Sprung nun breiter aufgestellt. Seine Stärke waren immer schon ein guter Absprung und eine sehr saubere Skiführung über dem Vorbau, speziell bei schwierigen Bedingungen. Wenn es darum ging, den Sprung schneller zu machen, war er früher jedoch nicht so stabil. Jetzt ist er in der Luft nicht mehr so extrem hoch, hat aber weiterhin Dynamik in seinem Sprung und einen tollen Gleitwinkel. Er schafft es nun, seine Flugposition sehr früh und sehr stabil einzunehmen und dabei die Geschwindigkeit zu erhalten. Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, ein System aufzustellen, in dem er sich wohlfühlt und seine Leistungspotenzial annähernd ausschöpfen kann. Es ist eine interessante Herausforderung, ihn zu führen und ihm zu helfen, weil er ein sehr starker Charakter ist und auch mal stur sein kann. In der Form, in der er ist, hat Richard Freitag in Pyeongchang alle Chancen, in jedem Wettbewerb eine Medaille zu holen.

Der Hochbegabte: Andreas Wellinger

In der zweiten Hälfte der vergangenen Saison hat er ein halbes Jahr lang fast nur Podeste gemacht, unter anderem WM-Gold und zweimal WM-Silber gewonnen. Das war alles andere als eine Selbstverständlichkeit – er ist ja erst 22. Jetzt ist er im Jahr der Bestätigung, und ich bin weiter voll zufrieden mit ihm, auch wenn er derzeit nicht ganz so konstant und stabil ist wie vor einem Jahr. Allerdings hat er trotzdem schon wieder etliche Podiumsplatzierungen und bei der Tournee Gesamtplatz zwei geschafft. Das ging zwar im Hype um Kamil Stoch ziemlich unter, war aber nicht ganz so schlecht. Und man darf nicht vergessen, dass er nach der Verletzung von Severin Freund in eine neue Rolle gerückt ist, die Mannschaft nach außen repräsentiert. Im Sommer hat er zum Beispiel sehr viele Medienanfragen abgefedert. Andreas Wellinger hat sehr gute Voraussetzungen, obwohl er ein größer gewachsener Springer ist. Er verfügt über eine gute Sprungkraft, aber auch über enormes Fluggefühl. Er kann das perfekt kombinieren, ist ein Instinktspringer. In Südkorea hat er auf beiden Schanzen gute Medaillenchancen, auf der kleineren sogar noch bessere, da er einen sehr guten Telemark kann – und die Landung dort mit entscheiden wird.

Der Kämpfer: Markus Eisenbichler

Er hatte im vergangenen Winter seinen Durchbruch und viele gute Ergebnisse, holte bei der WM seine erste Einzelmedaille. Er springt auch heuer nicht schlecht, nur leider dann am besten, wenn es noch nicht zählt. So kann er derzeit sein Leistungsvermögen im Wettkampf oft nicht zeigen. Die Technik ist aktuell nicht stabil genug, und wenn er im Wettkampfmodus auf hohem Energielevel agieren will, bricht sie ihm zu oft zusammen. Es ist für einen Trainer nie schön anzusehen, wenn Potenzial auf der Strecke bleibt. Die große Qualität von Markus Eisenbichler ist, ein Stehaufmännchen zu sein. Er lässt sich auch an einem schlechten Wochenende nie aus der Ruhe bringen. Die große Schanze in Pyeongchang ist eher eine Fliegerschanze, sie wird ihm liegen. Wenn er seine Form findet und Freitag und Wellinger ihre Leistung wie erhofft zeigen, dann sind wir im Teamwettbewerb bärenstark und können um Gold springen.

Der vierte Mann

Im engen Rennen um den vierten Startplatz von der Normalschanze hat sich Karl Geiger gegen Stephan Leyhe durchgesetzt. Leider war zuletzt bei beiden ein bisschen der Wurm drin, ihre Leistungen sind eher Durchschnitt gewesen. Das hat weder ihnen selbst noch uns als Team weitergeholfen. Jetzt darf man nicht vergessen, dass beide zum ersten Mal bei Olympia springen. Das ist, obwohl sie schon länger dabei sind, eine ganz besondere, einzigartige Situation. Sie müssen in Pyeongchang wieder einen Zugang zu ihrer Technik finden und sich von den Erwartungshaltungen lösen – von den eigenen und den fremden.