Olympia 2022 Curler Matt Hamilton sorgt für Aufsehen

Matt Hamilton nutzt Curling und seine Popularität, um im Kampf gegen Krebs Gutes zu tun. Foto: AFP/Lillian Suwanrumpha

Matt Hamilton zieht bei Olympia mit seinen bunten Schuhen, langen Haaren, dem Schnurrbart und der Trucker-Kappe alle Blicke auf sich. Dahinter steckt Kalkül.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Peking - Yankee Doodle als Einstimmung auf das Curling-Duell USA gegen Kanada. Passt, und doch nicht. Die Burschen in den Schottenröcken und mit den Dudelsäcken wecken keine Gedanken an das schottische Hochland. Es sind Chinesen. Etikettenschwindel beim nordamerikanischen Klassiker des Curlings, wo der Olympiasieger von 2018, die Yankees, auf die Nummer eins der Weltrangliste trifft, die Ahornblätter. Aber es ist nicht das olympische Finale, es ist bloß das Spiel um Platz drei. Um Bronze. Es ist manches nicht, wie es scheint, beim Curling.

 

Matt Hamilton – ein Curler, der nicht so recht ins Bild passt

Das beginnt beim Ort. Im National Aquatic Center werden keine Steine ins Wasser geworfen, sondern übers Eis geschoben. Das Schwimmstadion der Sommerspiele 2008 wurde umfunktioniert, was im Sinne der Nachhaltigkeit ist. Wo vor 14 Jahren US-Star Michael Phelps acht Goldmedaillen aus dem Wasser fischte, brüllt der Kanadier Brad Gushue seine Männer mit den Besen an wie ein Sergeant der Armee: „Hard, guys. Hard! Do! Do! Do!“, was man auch versteht, wenn man wie die wenigen Chinesen auf den Rängen (es mögen 200 sein) kaum Englisch spricht. Der Stein schießt zwei US-Steine aus dem Haus, die kanadischen Fans, zwar in kleinerer Zahl als die Chinesen, dafür aber stimmgewaltiger, kreischen vor Begeisterung, als sei gerade Justin Bieber (Teenie-Idol und Sänger) als Überraschungsgast erschienen und würde eine kleine Show hinlegen. Nein, es war nur ein guter Move von Skip Brad Gushue, Biebers Landsmann.

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Im Curling ist nichts, wie es scheint. Beispiel Matt Hamilton. Der passt beim ersten Blick gar nicht zu einem Sport, in dem es auf Konzentration, Präzision und ein feines Händchen ankommt, was der schwedische Skip Niklas Edin mit moderner Kurzhaarfrisur und gepflegtem Bart perfekt verkörpert. Matt Hamilton ist ein Anti-Curler mit den langen, lockigen Haaren, die unter der Baseballmütze hervorquellen, mit seinem seit Pyeongchang berühmten Oberlippenbart, der noch buschiger ist als vor vier Jahren, als er in Mario-Kart-Montur aufs Eis gegangen ist – und Gold gewonnen hat. Damit wurde er in Kreisen bekannt, die bei Curling an einen Friseur denken. Optisch ist der Second des US-Teams um Skip John Shuster eine der markanten Figuren in Peking, auch wegen der Tätowierungen am linken Arm. „USA today“ nannte Hamilton den „flysten Athleten der Winterspiele“, und Eurosport bemerkte, der 32-Jährige würde mit seinen bunten Sneakern, einer Spezialanfertigung, „die sozialen Medien durchdrehen lassen“. Alle anderen tragen einfarbige Schuhe. „Perfekte Schuhe für einen Mann wie mich“, sagt er.

Alles andere als ein Narzisst

Matt Hamilton ist aber kein selbstverliebter Narzisst, er verfolgt mit seinen Auftritten und seinem Äußeren einen Plan. Curling mit Kalkül. Der US-Sportler lässt die Haare wachsen, weil er damit eine Organisation unterstützen möchte, die in der Hirntumor-Forschung arbeitet und Perücken für krebskranke Kinder produziert.

Der Olympiasieger von 2018 richtete sich im Vorfeld der Winterspiele 2022 seine Landsleute. „Wenn ihr Geld für diese Organisation spendet, werde ich mir eine lächerliche Frisur schneiden, und wir alle können etwas Spaß damit haben“, teilte er via Social Media weltweit mit, „so können wir gemeinsam den Krebs besiegen.“

Hamilton hat auch eine Initiative gegründet, die Männern Mut macht, sich zum Schnauzbart zu bekennen. Aaron Rodgers, den Footballstar der Green Bay Packers, hat er schon überzeugt – und auch diese Initiative sammelt Geld im Kampf gegen den Krebs. Mit anderen Gruppen kamen bisher rund 1,5 Millionen Euro zusammen.

Maskottchen Bing Dwen Dwen schaut beim Spiel nicht zu

Die Atmosphäre im Aquatics Center erinnert an Geisterspiele im Fußball, die Diskussionen der Teilnehmer sind mit jedem Wort zu verstehen, nur ganz vereinzelt lärmen die Fans aus Nordamerika, mal sind es diese, mal jene. Die chinesischen Zuschauer verfolgen die fahrenden Steine mit den wischenden Männern ziemlich teilnahmslos, ob sie Eintritt bezahlt oder die Karten bei einer Verlosung gewonnen haben oder ob sie als Olympiastatisten auf die Tribünen zwangsversetzt wurden, ist nicht zu erkennen. Nur wenn sie von der Hallensprecherin aufgefordert werden, wedeln sie mit den zuvor verteilten Papierfähnchen, wie es ein Orkan nicht besser könnte. Und Maskottchen Bing Dwen Dwen ist nach der Begrüßung der Mannschaften auch längst verschwunden.

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Nachdem die Kanadier die US-Truppe mit 8:5 geschlagen haben, was Bronze wert ist, meldet sich Matt Hamilton gleich zweimal zu Wort. Einmal zum Thema Krebs. „Ich habe die Chance, mit meiner Popularität im Kampf gegen die Krankheit zu helfen – das ist meine Aufgabe“, sagt er. Und dann zur entglittenen Medaille: „Das tut verdammt weh, es haben so oft nur ein paar Inches gefehlt. So eine Sch. . .“ Und das meinte er, wie er es sagte. Nicht alles beim Curling ist anders, als es scheint.

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