Olympia 2022 Darum sind die Niederlande so schnell auf dem Eis
Die Niederländer platzieren sich dank ihrer Stärke im Eisschnelllauf im Medaillenspiegel der Winterspiele immer weit vorne. Warum ist das so?
Die Niederländer platzieren sich dank ihrer Stärke im Eisschnelllauf im Medaillenspiegel der Winterspiele immer weit vorne. Warum ist das so?
Peking - Es war nicht der Tag von Ireen Wüst, und auch nicht von Oranje. Über 1000 Meter ging die Grande Dame des Eisschnelllaufs als Sechste im Speed Skating Oval leer aus – und ihre Landsfrau Jutta Leerdam ergatterte lediglich Silber. Alles Käse. „Ich bin etwas enttäuscht, weil ich es besser kann“, sagte Leerdam, „in einer Kurve bin ich gestrauchelt.“ Gold hat sie so Mika Takagi aus Japan überlassen. Sonst sind die Damen und Herren aus den Niederlanden eine Bank, wenn es ums Goldsammeln auf Eis geht. Ireen Wüst hat seit Turin 2006 sechs goldene Medaillen zusammengetragen, dazu kommen fünf silberne und zwei bronzene.
Für die flitzenden Holländer liegt das Gold nicht auf der Straße, sondern auf dem Eis. 15 Auszeichnungen haben sie in Peking zusammengetragen, davon entfallen zehn auf die Sparte Eisschnelllauf und vier auf Shorttrack. Kimberly Bos heißt die Exotin in Orange, sie hat Bronze im Eiskanal auf dem Skeleton-Schlitten geholt. Ungewöhnlich. Nun gut, sie ist auch mit Kufen auf Eis gefahren, was beide Sportarten irgendwie verbindet. Platz sechs in der Peking-Gesamtwertung. Üblicherweise gewinnen die Niederländer ihre Medaillen auf der Rundstrecke, in Sotschi 2014 demütigten sie alle, als sie 23 von 36 Medaillen mitnahmen, acht von zwölf goldenen. 131 von 145 Winterplaketten seit 1928 gehen an die Eisschnellläufer.
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Diese Fixierung ist geografisch bedingt, da es keine echten Berge gibt, die höchste Erhebung, der Vaalserberg, kommt auf 322,4 Meter. Skisport in jeglicher Form oder Rodeln fallen damit aus, Eishockey und Curling haben es irgendwie nicht geschafft. Eine Reporterin hatte vor Jahren im Fernsehen behauptet, der Erfolg der Niederländer rühre daher, dass Schlittschuhe in Amsterdam das Verkehrsmittel Nummer eins im Winter seien, weil sich Frauen und Männer so auf zugefrorenen Kanälen fortbewegten – das hat die US-Amerikanerin bereut, nachdem sie auf (elektronischen) Kanälen beschimpft worden war. Sie hat sich entschuldigt, denn auch der 200-Kilometer-Marathon Elfstedentocht zwischen elf friesischen Städten findet seit 1997 nicht mehr im Land statt, weil das Eis nicht überall dick genug ist, und wurde an den Weißensee nach Kärnten verlegt. 6000 Niederländer reisen dafür Jahr für Jahr an.
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Es existieren längst stichhaltigere Erklärungen für die Liebe zum Schlittschuhlauf im Königreich von Willem Alexander. Dafür muss man lediglich nach Heerenveen reisen, dort steht das Thialf. Was die Soers für Reiter in Aachen, Wembley für Fußballer in London, Le Mans für Rennfahrer in Frankreich und Augusta für Golfer in den USA ist, das ist das Thialf für Eisschnellläufer in Friesland. Eine Kultstätte des Sports für alle, die schon mal Schlittschuhe trugen. Auf 1200 Quadratmetern erstklassige Trainingsbedingungen ohne Eis. Eine Tartanbahn, Medizinbälle, Hanteln, Mountainbikes, Fitnessgeräte – überall sind Kameras und Flachbildschirme angebracht, damit jede Bewegung analysiert werden kann. Eisschnelllauf ist digitalisiert. Im Eis wurden Messpunkte installiert, es werden zwölf Zwischenzeiten erfasst, weil nicht nur die Rundenzeit aufschlussreich ist, sondern gerade die Teilzeiten, weil die Trainer da erkennen, wo noch Luft nach oben für die Sportler ist. Im neu eingerichteten „Innovation Lab“ laufen die Datenkanäle zusammen. Stoppuhren sind was fürs Museum in Heerenveen, Goldmedaillen werden auf Tablets geplant. Und was im Thialf nicht fehlt: Räume für die Trainer, Physiotherapeuten, Ernährungsberater. Und dann sind da noch die Eismeister, die auf Meereshöhe das schnellste Eis machen.
Exzellente Bedingungen locken Talente, es gibt 10 000 registriere Eisschnellläufer, in Deutschland sind es 1000. Um die Startplätze bei Olympia im Eisschnelllauf (18) und Shorttrack (10) entbrennen härteste Ausscheidungsrennen, weil jeder Nominierte weiß, dass er ein brandheißer Medaillenkandidat sein wird. 28 potenzielle Olympiasieger, im deutschen Aufgebot für Peking stehen lediglich fünf Eisschnellläufer sowie eine Shorttrackerin. „Unser Geheimnis ist unsere große nationale Konkurrenz. Schon Kinder treten in Meisterschaften an, auch hier setzen sich nur die Besten durch“, sagt Ex-Weltmeister Gianni Romme, der derzeitige Trainer.
Er ist nicht der Einzige, der sein Handwerk aus dem Effeff kennt. Eisschnelllauf ist in den Niederlanden wie Tischtennis in China oder Rodeln in Deutschland – wer sich national durchsetzt, ist international die große Nummer. Der Innendruck sorgt dafür, dass Sportler zu anderen Nationen wechseln, weil sie dort ein Olympiaticket sicher haben. Ted-Jan Bloemen ärgerte sein Geburtsland, weil er 2018 Gold für Kanada über die Königsdistanz 10 000 Meter holte und Jorrit Bergsma nur Silber ließ. Als Rekordweltmeister Sven Kramer auf die Bahn fuhr, schalteten sieben Millionen der 16 Millionen Niederländer den Fernseher an – eine Quote von mehr als 40 Prozent der Bevölkerung, das gelingt in Deutschland nicht mal Fußball. Drei Chancen haben sie noch, die Bilanz aufzupeppen. An diesem Freitag die Männer (1000 m), am Samstag beide Geschlechter im Massenstart.