Olympia 2022 Die umstrittenen Herrscher der Loipe
Therese Johaug und Alexander Bolshunov dominieren die olympischen Langlaufwettbewerbe und holen je dreimal Gold – was Fragen aufwirft.
Therese Johaug und Alexander Bolshunov dominieren die olympischen Langlaufwettbewerbe und holen je dreimal Gold – was Fragen aufwirft.
Zhangjiakou - Alexander Bolshunov scheint sich seiner Sache ziemlich sicher gewesen zu sein. So sicher jedenfalls, dass er sich das passende Schuhwerk besorgt hat. In goldenen Stiefeln stieg der Langläufer nach seinem Sieg im letzten Rennen in Zhangjiakou aufs Podest. Wie passend! Der Russe war mit fünf Medaillen (3x Gold/1x Silber/1x Bronze) der überragende Athlet der Winterspiele. Ähnlich rund lief es bei Therese Johaug. In der Staffel zeigte sich zwar deutlich, dass sie derzeit die einzige Weltklasse-Norwegerin ist, dafür gewann sie gleich drei Einzel-Rennen. Am Ende des 30-km-Laufs am Sonntag hatte sie bei starkem Wind mit der norwegischen Flagge, die sich nicht entfalten ließ, mehr Probleme als mit ihren Gegnerinnen. Johaug lag 1:43 Minuten vor Jessica Diggins (USA) und 2:33 Minuten vor Kerttu Niskanen, war in ihrem eigenen Universum unterwegs. Wieder mal. „Ich bin mein Rennen gelaufen, habe meinen Job gemacht“, sagte die 33-Jährige, „das hat sich so gut angefühlt.“ Zumindest für sie.
Der Rest der Welt muss Johaugs Überlegenheit hinnehmen, die alle anderen aussehen lässt wie Anfängerinnen. Das war auch schon bei den Weltmeisterschaften 2021 in Oberstdorf (4x Gold) und 2019 in Seefeld (3x Gold plus Staffel-Silber) so. Damals hatte Johaug gerade eine 18-monatige Dopingsperre abgesessen. Sie behauptet weiterhin, das bei ihr nachgewiesene Steroid Clostebol stamme aus einer Hautcreme gegen Sonnenbrand. Andere sehen ihre Leistung nach wie vor mit Skepsis, zu ihren größten Kritikern gehört Peter Schlickenrieder. „Sie läuft meilenweit voraus, das ist befremdlich“, meinte der Bundestrainer schon nach ihrem Comeback in Seefeld. Und in Oberstdorf plädierte er für die Einführung einer BMI-Grenze: „Ich habe keine Erklärung für ihre Leistung. Ich würde Athleten ab einem gewissen Gewichtslimit nicht mehr starten lassen.“ Johaug soll bei einer Größe von 1,62 Metern knapp unter 46 Kilogramm wiegen.
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Dass sie dennoch starke Widerstandskräfte besitzt, zeigte sie nun erneut. Wegen der extremen Kälte und der Sturmböen war das Rennen, das Victoria Carl als beste Deutsche auf Rang zwölf beendete, in den Vormittag geschoben worden, die Bedingungen waren dennoch ziemlich unwirtlich. Nur nicht für Johaug. „In der Gegend, aus der ich stamme, ist es oft sehr windig und kühl“, sagte sie, „das hier hat nichts bedeutet.“ Ähnlich äußerte sich Alexander Bolshunov.
Der Abschlussklassiker der Männer war wegen des Wetters von 50 auf 28,4 Kilometer verkürzt worden – und blieb trotzdem die ultimative Tortur. Den Läufern froren die Gesichter ein, in den Bärten verfing sich das Eis. Und dennoch stürmte Bolshunov unaufhaltsam dem Ziel entgegen. Er krönte sich zum König der Langläufer, siegte vor seinem Landsmann Ivan Yakimushkin und dem Norweger Simen Hegstad Krueger. Weil in Artem Maltsev (4.) und Denis Spitsov (6.) noch zwei Russen weit vorne lagen, gab es nicht wenige, die auch dieses Ergebnis mit Argwohn betrachteten. Was ein deutscher Trainer gar nicht verstehen kann.
Marcus Kramer, der einst den Schweizer Dario Cologna zum Olympiasieger formte, arbeitet seit Sommer 2015 als Coach verschiedener russischer Weltklasse-Langlaufgruppen. „Ich bin sehr wütend, dass jedes Mal, wenn ein Russe gewinnt, die Diskussionen über Doping neu beginnen. Das ist doch langweilig“, sagte Cramer in Zhangjiakou der norwegischen Zeitung „Verdens Gang“, „wir hatten schon lange kein Problem mit Doping mehr. Wir versuchen, länger, härter und besser zu trainieren. Das ist die Antwort darauf, warum wir jetzt auf einem sehr hohen Niveau sind. Wir tun alles, um zu zeigen, dass wir reine Praktiken haben.“
Eine naive Sichtweise? Oder die Wahrheit? Das wissen allein die Russen selbst. Nur so viel war nun bei den Winterspielen klar zu sehen: Sie scheinen sich ihrer Sache ziemlich sicher zu sein.