Olympia 2022 Warum Norwegen die Nummer eins des Wintersports ist
Das Team aus Norwegen wird auch bei den Olympischen Winterspielen in China die Nationenwertung gewinnen – im Medaillenspiegel wurde der eigene Rekord übertroffen.
Das Team aus Norwegen wird auch bei den Olympischen Winterspielen in China die Nationenwertung gewinnen – im Medaillenspiegel wurde der eigene Rekord übertroffen.
Zhangjiakou - Jan-Aage Fjörtoft, ein ehemaliger Fußballprofi, fiel bisher nicht durch eine übermäßige Wintersport-Expertise auf. Für einen netten Spruch ist der Norweger allerdings immer gut. „Sorry, Schweden!“, twitterte der frühere Stürmer von Eintracht Frankfurt also nach dem Olympiasieg der Langläufer Johannes Klaebo und Erik Valnes im Teamsprint, „wir mussten einfach noch eine Goldmedaille gewinnen.“ Ein Spaß, der zwei Dinge unterstrich: Dass es den Norwegern große Freude macht, ihren skandinavischen Nachbarn zu necken. Und dass sie zugleich dem Rest der Sportwelt die lange Nase zeigen. Diesmal erst recht.
Norwegen hat nur 5,37 Millionen Einwohner, ist aber mit Abstand die Wintersport-Nation Nummer eins. Klar, es gibt diesmal 109 olympische Wettbewerbe – mehr als je zuvor. Und trotzdem ist der Sammeleifer der Norweger bemerkenswert. Den bisherigen Rekord von 14 Goldmedaillen (Deutschland und Norwegen 2018 in Pyeongchang sowie Kanada 2010 in Vancouver) haben sie schon jetzt übertroffen. Vor dem Abschlusswochenende steht das norwegische Team bei 15x Gold, 8x Silber und 11x Bronze. Da kann niemand mithalten, der Abstand der zweitplatzierten Deutschen ist beträchtlich (10/7/5). Dazu passte, was Langläufer Klaebo nach dem Triumph an der Seite von Valnes sagte: „Was wir hier zusammen als Team schaffen, darauf sind wir stolz.“ Die Medien sind es auch.
„Gull! Gull! Gull!“, titelte die Zeitung „Adresseavisen“, und das „Dagbladet“ jubelte in einem Anflug von Prosa: „Norwegische Medaillenflut – Fantastische Olympia-Pracht!“
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Die Bilanz der Norweger gründet sich zuvorderst auf ihre Dominanz in den traditionellen Disziplinen. Die Biathleten Johannes Thingnes Bö (4/0/1) und Marte Olsbu Röiseland (3/0/2) überragen, einmal siegten sie zusammen im Mixed-Team. Auch die Langläufer Klaebo (2/1/1) und Therese Johaug (2/0/0) sind im Soll, Jörgen Graabak (2/1/0) ist der erfolgreichste Kombinierer, Skispringer Marius Lindvik flog auf der Großschanze zu Gold. Im Gegensatz zu den Deutschen sind die Norweger auch in den jungen, hippen Sportarten präsent: Freestyle-Skifahrer Birk Ruud wurde Olympiasieger auf der Big-Air-Schanze. Dazu verteidigten die Eisschnellläufer ihren Titel in der Teamverfolgung. Was beweist, wie vielseitig diese Sportnation ist. Umso mehr stellt sich die Frage: Wie geht das?
Wer es sich leicht machen will, bemüht ein altes Sprichwort, das besagt, jeder Norweger würde „mit Skiern an den Füßen geboren“. Doch so einfach ist es natürlich nicht. Eher schon hilft ein Blick in die Geschichte. Calgary 1988 ist immer noch als Tiefpunkt in Erinnerung. Nur fünf Medaillen gab es damals, keine war aus Gold. Und das ausgerechnet in dem Jahr, als die Winterspiele 1994 an Lillehammer vergeben worden sind. Danach wurde ein komplett neues Sportfördersystem auf die Beine gestellt, mit der Organisation „Olympiatoppen“ an der Spitze, die Athleten, Trainer, Wissenschaftler und Geldgeber zusammenführte. Ziel war, ein Modell zu schaffen, in dem Hochleistungssport disziplinübergreifend gelebt, gefördert, technisch weiterentwickelt und finanziert wird. Aus Gutem sollte gemeinsam das Beste werden, auch dank der Verzahnung von Sommer- und Wintersportarten. Von dieser Idee und deren Umsetzung profitiert auch das aktuelle Olympiateam. Es gibt aber noch ein paar andere Faktoren.
Trotz der digitalen Verlockungen sind die Norweger weiter extrem naturverbunden und sportbegeistert. „Die Familien gehen raus, egal zu welcher Zeit, egal bei welchem Wetter“, sagt Alexander Stöckl, der österreichische Trainer von Olympiasieger Marius Lindvik und des norwegischen Skisprung-Teams. Folglich gibt es keine Nachwuchssorgen. 80 Prozent der Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren sind in Sportvereinen aktiv, allein im Skisport gibt es 1150 Clubs, die oft eng zusammenarbeiten. Ein Unterschied zu vielen anderen Systemen: Im Jugendbereich geht es vor allem um Spiel und Spaß, nicht um Siege. Wettkämpfe werden erst in höherem Alter wichtig. Klingt romantisch? Ist es auch. Bis andere Mechanismen greifen.
In Norwegen, das reich an Rohstoffen – vor allem Öl – ist, fließt viel Geld in den Spitzensport. Zwei Drittel der Profite aus dem staatlich regulierten Glücksspiel werden für die Jagd nach Medaillen eingesetzt. Und natürlich ist die Nummer eins des Wintersports nicht frei von Doping. Therese Johaug zum Beispiel verpasste Pyeongchang 2018, weil sie eine Sperre absitzen musste (laut ihrer Aussage hatte sich das anabole Steroid Clostebol in einer Lippencreme gegen Sonnenbrand befunden). Schlagzeilen machten die Norweger auch während der Spiele vor vier Jahren in Südkorea, als bekannt wurde, dass sie für 121 Athletinnen und Athleten 6000 Dosen Asthmamittel im Gepäck hatten. Da ist schon fast beruhigend, dass auch bei ihnen sportlich nicht immer alles glatt läuft.
Kombinierer Jarl Magnus Riiber verirrte sich bei diesen Winterspielen auf der Langlaufstrecke, Klaebo wollte, nachdem die Norweger in der Staffel nur Zweite geworden waren, nicht aufs Siegerfoto, und Langläuferin Tiril Udnes Wenig schluchzte nach Rang fünf im Teamsprint, sie fühle sich „wie eine Landesverräterin“.
Das ist die Kehrseite der Medaille. Zu der nicht mal Jan-Aage Fjörtoft ein cooler Spruch einfiel.