Olympia 2022 Winterspiele im Wandel: Lob statt Kritik

Farbenfrohes Ende bei der Schlussfeier Foto: dpa/Michael Kappeler

Organisatorisch lief alles rund, zumindest nach Meinung vieler Olympiastarter, die sich positiv äußerten.

Peking - Eines vorweg: Natürlich haben die Kritiker recht, die sagen, die Olympischen Winterspiele hätten aufgrund der Menschenrechtsverletzungen, der stark eingeschränkten Meinungsfreiheit, der ständigen Überwachung niemals nach China vergeben werden dürfen. Erst recht, weil das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Zustände im Reich der Mitte mit keiner Silbe angeprangert hat. Stattdessen ging Thomas Bach, der Herr der Ringe, mit Staatspräsident Xi Jingping auf Kuschelkurs. Er liebt diese Hinterzimmer-Diplomatie, während der Verein Athleten Deutschland Klartext von ihm forderte: „Das fortwährende Schweigen des IOC zu schwersten Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in China verleiht diesen stille Akzeptanz.“

 

Das ist eine nachvollziehbare These. Trotzdem haben die Spiele in den vergangenen 16 Tagen in Peking, Yanqing und Zhangjiakou stattgefunden. Geprägt von strengsten Coronaregeln, der Kälte und gigantischen Sportstätten. Wir schauen auf die organisatorische Bilanz – und voraus.

Die Sicht der Athletinnen und Athleten Natürlich gab es auch kritische Stimmen. Zum Beispiel von Erik Lesser (33). „Ich nehme von diesen Spielen genau gar nichts mit“, sagte der Biathlet, der nur zwei von sechs Rennen hatte bestreiten dürfen (67. im Einzel, Vierter mit der Staffel), „weder eine Medaille noch ein gutes Ergebnis, und eine gute Zeit hatte man hier jetzt auch so begrenzt. Irgendwie beneide ich Arnd Peiffer, der letzte Saison gesagt hat: Tschüssikowski, Peking gebe ich mir nicht mehr.“ Abgesehen von der Tatsache, dass Lesser niemand gezwungen hat, seine Karriere fortzusetzen, zählte er mit seiner Meinung zu einer Minderheit. War das Klima vor der Abreise noch extrem unterkühlt, führten die Bedingungen vor Ort zu einem Stimmungsumschwung. Fast alle aus dem Team D lobten die Wettkampfstätten sowie die Unterbringung, und auch die Verpflegung hatte sich schnell verbessert. „Es waren sehr gelungene Spiele, und auch würdig ist alles gewesen. Da muss man schon mal Danke sagen“, meinte Skirennfahrer Josef Ferstl. Skicrosser Tobias Müller sah es ähnlich: „Man hat im Vorfeld ja einiges Negatives gehört, ich bin damit überhaupt nicht einverstanden. Ich fand es richtig cool.“ Und sogar die Chefkritikerin Natalie Geisenberger, die zum Rodelteam gehörte, das beim Testwettkampf im November schlechte Erfahrungen gemacht hatte, weshalb sie sogar über einen Startverzicht nachdachte, zeigte sich versöhnt. „Es hat recht viel hingehauen“, meinte sie, während Tom Kühnhackl einen Vergleich zur WM 2021 in Riga zog. „Damals durften wir nur im Zimmer sitzen“, sagte der Eishockey-Nationalspieler, „deshalb hätte es uns in Peking viel härter treffen können. Es war ein großer Schritt nach vorne, dass wir raus durften.“ Wenn auch nur in der Blase.

Das Schlusswort an alle Skeptiker sprach dann Karl Geiger. „Die Spiele wurden ja scharf kritisiert und hinterfragt, aber so, wie sie durchgeführt wurden, war das voll korrekt“, meinte er, „das nächste Mal, bevor man etwas Kritisches sagt, muss man als Deutschland vielleicht selbst eine Bewerbung rausschicken.“

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Die Coronablase Auch die Olympia-Bubble kann man von zwei Seiten sehen. Einerseits manifestierten die Strenge, die Unnachgiebigkeit, die täglichen PCR-Tests den Graben zwischen China und einem Großteil der westlichen Welt, in der es derzeit ja überall um Öffnungsszenarien geht. Andererseits ging die Null-Covid-Strategie innerhalb der Blase auf. Zwar wirkte es teils bizarr, auf dem Gang des Hotels vermummten Reinigungskräften zu begegnen, aber unter den fast 70 000 Olympiagästen gab es in der vergangenen Woche nur noch eine einstellige Zahl an Infizierten. „Was Corona angeht“, sagte Thomas Bach, „waren die Spiele der sicherste Ort der Welt.“

Die Wettkampfstätten Wenn es um das Erbe von Winterspielen geht, empfiehlt sich ein Blick auf die Skisprungschanzen. Von den elf olympischen Anlagen seit 1980 ist jene in Lillehammer die einzige, auf der danach regelmäßig Weltcup-Wettbewerbe stattfanden. In Vancouver (2010), Sotschi (2014) und Pyeongchang (2018) gab es nie wieder ein hochkarätig besetztes Springen. Ein ähnliches Schicksal droht dem gigantischen Bauwerk in Zhangjiakou, einem der Wahrzeichen der Winterspiele in China. Und auch die Bobbahn, die 400 Millionen Euro gekostet haben soll, die Abfahrtsstrecke oder die Biathlon- und die Langlauf-Arena werden wohl nur noch für chinesische Meisterschaften und touristische Zwecke genutzt. „Der Gigantismus ist wirklich krass, die Anlagen sind einfach geisteskrank“, sagte Erik Lesser. Genau deshalb meinte IOC-Olympia-Direktor Christophe Dubi: „Es ist sehr wichtig, künftig Weltcups und Weltmeisterschaften in diesen prachtvollen Sportstätten auszutragen.“ Das klingt schon fast nach Heuchelei, denn die Verbände haben ihre wichtigsten Veranstaltungen natürlich längst geplant, teilweise auf Jahre im Voraus. China taucht in den Terminkalendern nicht auf.

Die Zukunft Die Olympischen Spiele kehren nach Europa zurück. Erst im Sommer nach Paris (2024), dann im Winter nach Mailand, Cortina d’Ampezzo und in die italienischen Alpen (2026). Über das Thema Nachhaltigkeit dürfte dann weniger diskutiert werden – es geht auf viele traditionelle Pisten und Anlagen. Was allerdings einen gravierenden Nachteil hat: Die wichtigsten Olympiaorte liegen so weit auseinander wie nie zuvor bei Winterspielen.

Die Skirennfahrerin Federica Brignone wagte schon mal die Prognose, dass sich der olympische Geist in vier Jahren wohl nicht entfalten kann. Während in Mailand die Eröffnungsfeier stattfinden wird und die Eishallen stehen, kämpfen die Biathleten in Antholz um die Medaillen, die Skirennfahrer in Bormio, die Ski-Freestyler und Snowboarder in Livigno, die Skirennfahrerinnen in Cortina, die Skispringer, Langläufer und Kombinierer in Val di Fiemme. Statt den seit 2008 geschlossenen Eiskanal in Cortina zu renovieren (in dem 1981 einige Szenen des James-Bond-Klassikers „In tödlicher Mission“ gedreht wurden), schlagen Umweltschützer vor, dafür die Bahn im österreichischen Innsbruck-Igls zu nutzen. Das wäre 400 Kilometer von Mailand entfernt. Die Schlussfeier soll in der weltberühmten Arena in Verona stattfinden. Das antike Amphitheater wurde vor zwei Jahrtausenden erbaut – nachhaltiger geht es nicht.

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