Es fallen schon noch ein paar Entscheidungen bei den Spielen, aber wichtig ist vor allem, was sich nun vielleicht aus London lernen lässt.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Wenn es ans Ende einer Unternehmung geht – und wie die Olympischen Spiele an diesem Sonntag enden, endet auch diese Kolumne – wird in England oft der Schluss einer Geschichte von Beatrix Potter zitiert: In „The Tailor of Gloucester“, wo der überforderte Schneider die Weste vom Bürgermeister nicht rechtzeitig fertig bekommt, springen über Nacht die dankbaren Mäuse ein (die der Schneider vor der leicht sadistischen Katze gerettet hat). Sie nähen und nähen, alles nähen sie, bis auf ein Knopfloch, und hinterlassen in ihrer winzigen Schrift einen Zettel: „No more twist!“ Zu Deutsch: Das Garn ist aus!

 

Andererseits, bei der Gelegenheit: Beatrix Potter, geboren 1866, war ein Kind aus einem reichen Londoner Haushalt, jedoch ein armes Mädchen. Obwohl eigentlich jeder frühzeitig ihre Talente sehen konnte (mit fünfzehn Jahren wurde sie für ihre Zeichnungen prämiert), hatten ihre Eltern nichts anderes als die Existenz einer Haushälterin für sie im Sinn. Die Royal Botanic Gardens ließen die Naturliebhaberin und für eine Autodidaktin äußerst kundige Beatrix Potter nicht zum Studium zu. Sie war eine Frau. Und so war England eben auch. Damals (manchmal heute noch). Auf eigene Faust erforschte Potter das Wesen der Flechten, die sie, schlicht ausgedrückt, als Mittelding zwischen Pilzen und Algen bestimmte. Ihr Onkel reichte die Arbeit ein. Die Männer an der Uni erkannten ihren Wert. Aber persönlich präsentieren durfte Potter ihre Thesen nicht.

Fern von der tyrannischen Familie

Schließlich schrieb sie (und malte gleich die Bilder dazu): Bücher, bis heute millionenfach verkauft und geliebt, und auch in Deutschland kennt man die Titel: „Die Geschichte von Peter Hase“, oder „Die Geschichte vom Eichhörnchen Nusper“. Geschichten ohne Ende, kleine Glücklichmacher. Beatrix Potter kaufte eine Farm im Lake District, Castle Cottage, da blieb sie wohnen mit ihrem zweiten Mann, fern von der tyrannischen Herkunftsfamilie, und obwohl sie, klar, wie jeder Mensch das muss, gestorben ist, das war 1943, lebt Beatrix Potter noch heute.

Was das mit den Spielen zu tun hat? Die Potter-Geschichte der Spiele in London hat, wenn man so will, Mo Farah aus Mogadischu geschrieben, der mit zehn Jahren aus Somalia als Emigrant ins Land gekommen ist. Er hatte ein überragendes Talent als Athlet, doch brauchte es einen aufmerksamen Lehrer am Feltham Community College in Middlesex, dass aus Mo Farah jener Sportler werden konnte, für den am Samstag nach dem Erfolg über 10.000 Meter auch für den Sieg über 5000 Meter die Menschen aufstanden. Farah ist in diesen Augenblicken zu einem nationalen britischen Eigentum geworden, wie es Beatrix Potter längst ist. Ohne den Moment in seiner Würde, die er durchaus hatte, beschädigen wollen: Farah lässt sich nun als Marke inszenieren (woran die Agentur, die auch Usain Bolt betreut, bereits heftig arbeitet). Er ist, mit viel Fleiß und viel Glück, ganz oben angekommen. Was aber passiert in den Ebenen?

Die deutschen, wie erwähnt, nicht ganz so froh gestimmten Funktionärsolympioniken haben bereits ganz Entscheidendes im Blick, verkünden sie. Analog zum englischen Vorbild soll der Schulsport stark verbessert werden. Wozu hierzulande nicht viel gehört, wenn was ausfällt, stehen Sport und Musik ganz oben. Indes taugt das britische System diesbezüglich selbst nicht viel. England hat gezielt vor allem im Bereich der teuren Eliteschulen gefördert, der Schulsport ist ansonsten gerade kein Aushängeschild. Oft bleiben die Angebote hinter den einmal als Minimum benannten zwei Stunden in der Woche zurück – und soeben haben die Konservativen unter David Cameron beschlossen, dass die School Sport Partnerships von 162 Millionen Förderpfund drastisch zurückgefahren werden. Kann sein, David Cameron macht es politisch nicht mehr lange; Boris Johnson, der als Londoner Bürgermeister seinerseits auf einer Woge des Erfolgs surft, stünde wohl als Nachfolger bereit. Johnson ist Radfahrer, immerhin, und als Radfahrer hat man derzeit im neu erwachten Radfahrerland Großbritannien Chancen wie nie. Aber das wäre eine andere Geschichte. Und, wie gesagt: das Garn ist aus. Blinzelnd grüßt ein letztes Mal: ihr London Eye!