Judo hat einen besseren Ruf als Boxen. Dabei hat Boxen eine lange Tradition bei den Olympischen Spielen. Demnächst werden wohl die Regeln geändert und der Kopfschutz abgesetzt. Das kann nicht gut sein.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - Schöne Szene beim Judo, als Ole Bischof, der alte Olympiasieger, mit diesen Händen, groß wie Klosettdeckel, sanft seinen koreanischen Gegner, Kim Jae-Bum, den neuen Olympiasieger, nach dem Finale in den Arm nahm. Später sagte Bischof, Kim Jae-Bum sei einfach besser gewesen und ein wahrer Champion. Das war groß, das macht nicht jeder. Judo, wörtlich „Siegen durch Nachgeben“, ist eine Sportart, die – von Olympischen Spielen mal abgesehen - in der medialen Wahrnehmung ebenso im Abseits steht wie beispielsweise das Ringen. Dennoch ist Judo eindeutig besser beleumundet. Ein schlechteres Renommee als Ringen hat nur noch das Boxen, obwohl es sich um Amateurboxen mit strikten Regeln handelt. Aber die Abneigung dagegen, dass sich zwei Menschen unter anderem ins Gesicht schlagen, ist so alt wie das organisierte Boxen überhaupt.

 

In seinen hochinteressanten Notizen über die „Merkwürdigen Reisen durch Niedersachsen, Holland und Engelland“ von 1710 steht bei Zacharias Conrad von Uffenbach dazu Folgendes: „Als wir wollten nach Hause gehen, sahen wir noch an dem Strand eine rechte teuflische Lust. Es hatten nämlich einige Lords, so auch auf den Abgang des Paquetbootes, wie wir, warteten, um sich einen Zeitvertreib zu machen, zweyen Boots-Gesellen eine Crone versprochen, wenn sie sich nackend bis auf die Hosen ausziehen, und sich darum mit Fäusten schlagen würden.“

Edle Kunst der Selbstverteidigung

Nicht nur von Uffenbach, auch seine deutschen Freunde sind entsetzt. Man hätte die Engländer für vornehmer gehalten, und ist erst recht nicht beruhigt, als versichert wird, dass die „Boot-Gesellen solches täglich vor das Geld thäten, und danach, nachdem sie wieder gesoffen, die besten Freunde“ würden. Wenig später wird aus den weitgehend unorganisierten Schlägereien, auf die schon gewettet wurde (eine zunächst genuin englische Leidenschaft), eine vergleichsweise anständige Unternehmung. Es ist James Figg, der 1720 ein Amphitheater an der Oxford Road gründet, wo fortan gleichberechtigt öffentlich gerungen, gefochten und geboxt wird. Figg schafft einen glänzenden Rahmen, der Künstler William Hogarth entwirft die Werbeprospekte und verewigt Figg als Stahlstich („The Rake’s Progress“). Boxen wird förmlich geadelt als edle Kunst der Selbstverteidigung, und es werden faire Gehälter gezahlt. Davon ist heute nicht viel geblieben.

Von den Klitschko-Veranstaltungen abgesehen, lässt sich Profiboxen in Deutschland gerade sehr schlecht vermarkten. Und auch das Amateurboxen steckt in einer Dauerkrise, aus der man sich jetzt befreien will. Der Weltverband (AIBA) befürwortet, dass endlich der obligatorische Kopfhelm fällt, vielleicht schon 2014. Man solle den Boxern, heißt es, „ins Gesicht sehen können“. Und einen nackten Oberkörper hätte man auch gern. Statt des armfreien Trikots. Davon hält der Berliner Mittelgewichtler Stefan Härtel, der in London noch im Wettbewerb ist, gar nichts. Er liebt das Amateurboxen als Sport, aber er will auch nicht ständig mit einem vollends geschundenen Gesicht durch die Gegend laufen, wenn sich das Amateurboxen demnächst teilprofessionalisiert. Notfalls würde Härtel dann aufhören, obwohl gerade in London zu sehen ist, dass der Sport in seiner angestammten Form sein Publikum findet. 10.000 Menschen passen in die Halle. Und sie ist immer ausverkauft.