Der Stuttgarter Matthias Baumann hat durch sein Scheitern am Mount Everest einen neuen Weg gefunden, Gipfel zu erreichen. Dieser Weg machte ihn zu einem karitativen Ein-Mann-Unternehmen. Das Ergebnis sind drei Schulen und eine Klinik in Nepal.

Stuttgart - Wer schon mal wie ’ne alte Dampflok den Pfad zur Wurmlinger Kapelle genommen hat, bekommt eine leise Ahnung vom Gipfelmoment. Es ist kein Höhepunkt. Kein Rausch. Keine starke Emotion. Vielmehr mischen sich Erschöpfung mit Genugtuung und der Freude über die gute Aussicht. Der Rest ist Klischee. Zumindest behaupten das auch die ganz großen Bergsteiger. Reinhold Messner etwa: „Ich habe noch nie jemanden getroffen, der auf einem Achttausender seinen Klimax erlebte.“

 

Und doch sind sie alle getrieben davon, das scheinbar Unmögliche zu schaffen. Sie alle wollen hoch hinaus, das eigentlich Nutzlose erobern. Die einen machen es, um sich zu beweisen. Die anderen halten es philosophisch und berufen sich auf den reinen Selbstzweck: Der (Lebens-)Weg sei ihr Ziel.

Bei Baumann mag von allem ein bisschen dabei sein. Der Mann, der in Botnang aufgewachsen ist und in Tübingen an der Unfallklinik als Chirurg arbeitet, muss immer wieder nach oben. Der Gipfelmoment zieht ihn magisch an. Zweimal schon versuchte er sich am höchsten Gipfel, dem Mount Everest. Und zweimal ist er gescheitert. Beim ersten Mal war ein Missgeschick schuld. Baumann war auf 8600 Meter aufgestiegen. Er hatte das Ziel vor Augen. Doch in der Todeszone, auf den letzten 248 Metern, in den letzten zwei Stunden, geht ohne Sauerstoffflaschen nichts mehr. Die Welt wird bei jedem Atemzug zu einer einzigen, schmerzenden Lunge. Doch die Flaschen, die der Sherpa bis dorthin geschleppt hatte, waren versehentlich leer. Baumann musste umkehren.

Zwei Gipfelstürme scheiterten

Der zweite Gipfelsturm endete noch schmerzlicher. Der Stuttgarter kampierte im Basislager, als eine Lawine abging und 16 Sherpas in den Tod riss. Danach änderte sich sein Leben radikal. Er wird so etwas wie eine Ein-Mann-Hilfsorganisation und kümmert sich um die Familien der Opfer. Zu Hochform läuft er auf, nachdem in Nepal die Erde bebt. 9000 Menschen sterben. Baumann fliegt nach Nepal und operiert rund um die Uhr. Zurück in der Heimat vermittelt er Patenschaften für 50 Kinder und sammelt Geld für den guten Zweck auf dem Dach der Welt.

Die Erfolgreichsten wissen: Wir lernen erst durch das Scheitern. So hat auch das vermeintliche Scheitern bei ihm eine außergewöhnliche Entwicklung eingeleitet. Reinhold Messner hat diesen Energieschub einmal so beschrieben: „Mentale Kraft ist auch angestaute Motivation. Wenn ich Motivation anstaue, wird sie ein Momentum, gebündelte Energie, die in eine bestimmte Richtung wirkt. Sie macht die Möglichkeit auf, das scheinbar Unmögliche – es ist immer nur scheinbar unmöglich – zu schaffen.“

Baumann macht Unmögliches möglich

Matthias Baumann hat diese ganze Energie zuletzt in karitative Projekte umgeleitet. Kurzum: Der frühere Spitzenringer und heutige Teamarzt der Radnationalmannschaft macht in Nepal Unmögliches möglich. Er baut drei Schulen und ein Krankenhaus. Alles nur mit seinem Willen und Spendengeld. Die erste Schule für 200 Kinder hat er im Mai eingeweiht. Die nächsten beiden folgen in den kommenden zwei Jahren. So wie das Himalayan Sherpa Hospitals, bei dem der 45-Jährige den Grundstein legt. Wenn das Krankenhaus wie geplant 2019 fertig ist, soll es zehn Betten, eine Ambulanz mit Röntgengerät und einen OP-Saal haben. „Für dieses Gebiet ist das Hospital enorm wichtig“, sagt Baumann, „es ist quasi von der Außenwelt abgeschnitten – Straßen gibt es nicht, Material und später auch die Geräte werden per Hubschrauber über die Luft angeliefert.“

Wenn alles fertig ist, hat er wohl etwas geschaffen, das weitaus stärkere Gefühle auslöst als die Eroberung des Mount Everest. Einen Vorgeschmack erlebt er bei seiner vorerst letzten Nepalreise. Bei der Eröffnung der Schule wird er mit Dank von den Kindern und Lehrern überschüttet. Als Zeichen dafür verschenken Nepalesen sogenannte Kata-Schals. Matthias Baumann besitzt nun 100 davon. „Am Ende war es mir fast peinlich“, sagt er, „ich mache es ja nicht deswegen.“

Warum er es überhaupt tut? Diese Frage stellt sich für ihn nicht. Wie vermutlich bei allen Menschen, die aus diesem Holz geschnitzt sind. Hochleistungssportler, Abenteurer, Eroberer. Sie wollen, ja sie müssen hoch hinaus. Das Unüberwindbare schaffen. Ihr Wesensmerkmal ist die Identifikation mit einem Gipfel und die Auseinandersetzung mit dem Weg dorthin. Baumann sagt: „In dieser Geschichte und der Verbindung mit Nepal kam eines zum anderen.“ Es sei „nie sein Plan“ gewesen und doch ein Ziel. Von nun an werden ihn die drei Schulen und das Krankenhaus wohl sein „weiteres Leben nicht mehr loslassen“. Auch das passt zu diesem Menschenschlag: Er ist ständig unterwegs, kommt aber eigentlich nie an.

Es geht immer weiter und weiter.

Spendenkonto:

Info:

Die drei Schulen, die Matthias Baumann errichten ließ, haben zusammen 400 000 Euro gekostet. Noch ist das Krankenhaus, das eine halbe Million Euro kostet, noch nicht ausreichend finanziert. „Es fehlen rund 200 000 Euro“, sagt der Arzt und bittet daher um weitere Hilfe: „Denn alle diese Projekte sind durch Spenden finanziert.“

Der eingetragene Verein Sherpa Nepalhilfe bittet um weitere Spenden für das Krankenhaus. Das Konto: Volksbank Tübingen, IBAN DE30 6419 0110 0309 8640 03, BIC GENODES1TUE, Kennwort: „Nepalhilfe“.

Weitere Infos gibt es im Internet unter www.sherpanepalhilfe.de.