Der Doppel-Olympiasieger Michael Jung hat seinen Triumph in London nur kurz gefeiert. Schon am Tag danach kehrt der Vielseitigkeitsreiter in seine württembergische Heimatstadt Horb zurück, um gleich wieder mit seinen Pferden zu trainieren.

London - In der Greenwich Taverne fließt das Bier in Strömen. Drinnen ist es rappelvoll, draußen auf der Nevada Street stehen die Buschreiter. Die Stars und ihre Fans dicht an dicht. Jeden Abend trifft sich das Reitervolk im Pub und davor, nur wenige Meter entfernt vom Eingang zum Olympiagelände. Doch an diesem magischen Dienstagabend spielen sich tumultartige Szenen ab: Die Fans heben Michael Jung, den neuen Doppelolympiasieger, auf ihre Schultern. Die ganze Straße singt: „Happy Birthday, dear Michael – Happy Birthday to you!“

 

Jung wird dreißig. Ob er wirklich weiß, was er an seinem Wiegenfest geschafft hat? „Das wird bestimmt noch dauern“, sagt er. Fähnchen werden geschwenkt, wildfremde Pferdeleute aus aller Welt beglückwünschen sich und liegen sich in den Armen. Als die neuseeländische Reiterlegende Mark Todd im Pub erscheint, seine Bronzemedaille um den Hals, kennt der Jubel keine Grenzen. Todd sagt: „Vor 28 Jahren war ich Olympiasieger in Los Angeles, jetzt habe ich wieder eine Medaille. Unglaublich.“ Er werde wohl seine Karriere fortsetzen, obwohl er mit seinen 56 Jahren nach London eigentlich aufhören wollte, um sich ganz seinen Rennpferden zu widmen.

An Urlaub und Ferien denkt Jung nicht

Dann kommt das britische Team mit Zara Phillips vorbei, und man versteht sein eigenes Wort nicht mehr. Michael Jung wird fast erdrückt, ständig sind Handykameras auf ihn gerichtet, ein Fernsehteam der ARD weicht ihm nicht von der Seite. Sein Vater Joachim Jung, der den unglaublichen Triumph seines Sohnes noch nicht realisiert hat, hält trotzdem den Plan der nächsten Tage und Wochen parat: „Wir fliegen am Mittwoch zurück, am Abend gibt es dann daheim eine Riesenfete – Michael weiß davon noch nichts, wir wollen das vor ihm geheim halten.“

An Urlaub oder Ferien mit der Freundin sei nicht zu denken: „Unser Michi bleibt kommendes Wochenende zu Hause, danach geht’s wieder zu den normalen Turnieren.“ Man habe den Stall voller junger Pferde, die bräuchten ihre tägliche Arbeit, wegen Olympia seien die eine Zeit lang zu kurz gekommen. „Bei Michi zu Hause liegen Reisegutscheine, die er gewonnen hat, unter anderem nach Afrika – die bleiben wahrscheinlich ungenutzt“, sagt Vater Jung. Die Arbeit mit den Pferden, das sei die ganze Welt seines Sohnes.

Michael Jung bestätigt das gerne: „Das Reiten ist mein Beruf. Ich könnte mir keinen schöneren vorstellen. Doch der Erfolg kommt nicht über Nacht, es steckt jahrelanges, tägliches Training dahinter. Wer das schleifen lässt, der fällt sofort zurück.“ Und die Leute, die ihm ihre Pferde zur Verfügung stellten, hätten schließlich ein Recht darauf, dass er sich so gut um sie kümmere wie irgend möglich.

Er blickt für einen Augenblick wie entrückt auf seine beiden Goldmedaillen und sagt: „Sara Algotsson-Ostholt, die das Gold am letzten Hindernis verloren hat, tut mir leid. Aber so ist nun mal der Sport.“ Dann übergibt er die Medaillen zu treuen Händen an seinen Bundestrainer Hans Melzer, die Dopingkontrolle wartet; die Funktionäre des IOC sind dem neuen Superstar des internationalen Reitsports den ganzen Tag unerbittlich auf den Fersen geblieben.

Sam pausiert bis Ende des Jahres

Und was wird mit Sam, dem besten Pferd, das die Welt der Vielseitigkeit je gesehen hat? „Für Sam gibt es in diesem Jahr keinen Wettbewerb mehr“, sagt Vater Jung. Da seien sich er und sein Sohn schon vor London einig gewesen. Leopin und River of Joy würden zum Saisonschluss an den Start gebracht. Anfang September, beim Bundeschampionat in Warendorf, der wichtigsten Leistungsschau für die deutsche Pferdezucht, wird der neue Doppelolympiasieger seine Nachwuchstalente vorstellen. Dort hat er in der Vergangenheit immer wieder junge Champions präsentiert.

Und dann ist da auch noch die Geschichte mit dem Japaner Kenki Sato. Seit knapp einem Jahr trainiert der Sohn eines Mönches, der Bestattungen und Hochzeiten zelebriert, bei der Familie Jung in Altheim bei Horb. Im Geländeritt am Montag sind er und sein Chippieh durch einen krassen Reiterfehler sang- und klanglos ausgeschieden. „Kenki hat im Stall bitterlich geweint“, sagt Joachim Jung. „Am nächsten Tag sind seine Eltern, die hier in London waren, zu mir gekommen und haben gefragt, ob Kenki weiterhin Michaels Schüler bleiben dürfe, sein Ziel seien ja die WM 2014 und die Spiele von Rio.“ Klar darf Kenki in Altheim bleiben. Vater Jung lächelt milde: „Michael hat ja die gleichen Ziele.“