Selbst für Spitzensportler ist der Sommer in Japan gewöhnungsbedürftig: Die Temperaturen können auf über 30 Grad klettern, und die Luftfeuchtigkeit kann bis zu 90 Prozent betragen.

Tokio - Klar, wer in Japan lebt, ist die Hitze gewohnt. „Atsui-desu“ bedeutet: „Es ist heiß!“ Verwendet werden die Worte aber nicht im Sinne einer Beschwerde oder gar Klage. Sondern als sommerliche Begrüßungsformel. Wer im Juli in Japan zu Gast ist, dem setzen die Temperaturen jenseits der 30 Grad und die hohe Luftfeuchtigkeit schon mehr zu. Prima Klima? Denkste! „Es ist eine ziemlich schweißtreibende Angelegenheit“, sagt die Stuttgarter Turnerin Kim Bui nach einer leichteren Einheit in der Trainingshalle des deutschen Teams in Joetsu. „Uns läuft die Suppe runter.“ Was nur zeigt: Bei den Olympischen Spielen kommt es diesmal auch auf die Hitzebeständigkeit an. Vor allem in den Ausdauerdisziplinen.

 

Wettbewerbe im Marathon und Gehen nach Sapporo verlegt

Die Leichtathleten haben ihren Härtetest schon hinter sich. Die Bilder von der WM 2019 in Doha sind unvergessen: Geher taumelten mitten in der Nacht über die Strecke, völlig erschöpfte Marathonläuferinnen wurden in Rollstühlen abtransportiert. „Das war eine gute Übung“, sagt Idriss Gonschinska, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), mit einem gequälten Lächeln. Denn er weiß, was sein Team in Tokio erwartet: „Die Prognose geht dahin, dass es die heißesten Olympischen Spiele der Geschichte geben könnte.“

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Deshalb wurden die Wettbewerbe im Marathon und Gehen von Tokio nach Sapporo verlegt. Gestartet werden die Läufe dort morgens um 7 Uhr, die Geher müssen sogar schon um 5.30 Uhr ran. Heiße Rennen sind trotzdem zu erwarten, was auch für die Medaillenentscheidungen im Straßenradsport, im Triathlon, im 10 000-Meter-Lauf oder für den Geländeritt in der Vielseitigkeit gilt. Die Sommerspiele 1964 in Tokio wurden nicht umsonst erst im Oktober ausgetragen. „Diesmal finden sie genau zu dem Zeitpunkt statt, an dem die extremsten Bedingungen zu erwarten sind“, sagt Andreas Nieß, „es kann Wettkämpfe bei 38 Grad und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit geben. Für manche Disziplinen ist das sicher grenzwertig. Und viele Athleten werden nicht in der Lage sein, ihre volle Leistungsfähigkeit abzurufen.“

Auch Olympia-Starter müssen sich akklimatisieren

Andreas Nieß ist nicht nur Ärztlicher Direktor der Sportmedizin im Universitätsklinikum Tübingen, der ehemalige Langstreckenläufer (Marathon-Bestzeit 2:23,01 Stunden) gehört auch zum medizinischen Stab des DLV. Während der Spiele ist er in Sapporo – und zugleich froh, dass die längsten Ausdauerwettbewerbe dort stattfinden: „Die Hitzetoleranz der Athleten ist sehr individuell. Doch klar ist, dass es medizinisch und sportlich unverantwortlich gewesen wäre, den Marathon zur besten TV-Sendezeit in Tokio auszutragen. Die Verlegung war nicht nur richtig, sondern notwendig.“

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Und trotzdem bleibt es für alle Olympia-Starter enorm wichtig, sich gut zu akklimatisieren. Einfacher fällt das jenen, die sich auf die feuchte Hitze vorbereitet haben. Die Leichtathleten gingen dabei unterschiedliche Wege. Manche stellten sich einen Ergometer in die Sauna, andere ein Laufband in die Sonne, ohne kühlenden Wind. Und viele absolvierten Trainingslager in der Wärme, beispielsweise auf Fuerteventura. „Der Körper hat ein gutes Gedächtnis“, sagt die Tübinger Sportmedizinerin und DLV-Teamärztin Christine Kopp, die nach der WM 2019 in Doha nun auch in Japan im Einsatz ist, „der Anpassungseffekt geht nicht verloren. Für Leute, die gut darauf eingestellt sind, können auch drei bis fünf Tage zur Akklimatisierung reichen.“ Das ist vor allem für jene Sportler wichtig, die direkt aus dem Höhentrainingslager nach Japan reisen.

Tipps für die Sportler: mehr trinken und eine zusätzliche Prise Salz

Dort gibt es viele Regeln zu beachten, was zuvorderst an den strengen Coronamaßnahmen liegt. Aber auch die Hitze verlangt den Athleten einiges ab. Sie sollten viel mehr trinken als normalerweise, gekühlte Tücher nutzen, Eisbeutel auflegen. Sich in den Ruhezeiten im klimatisierten Hotel aufhalten, aber zur Hitzeanpassung dann doch die eine oder andere Trainingseinheit im Freien in der Wärme absolvieren, ohne dabei extrem zu belasten. Und beim Essen lieber eine Prise Salz mehr nehmen. Ziel ist, den Flüssigkeitsverlust teilweise auszugleichen, um die Thermoregulation des Körpers nicht zu sehr zu stören. „Sollte die Hitzeanpassung vor Ort nicht wie geplant funktionieren, dann nervt und stresst das, nagt am Selbstvertrauen“, sagt Andreas Nieß. Stattdessen hofft Idriss Gonschinska, dass im deutschen Team der gegenteilige Effekt eintritt – die gute Vorbereitung soll sich lohnen: „Eine gelungene individuelle Anpassung kann eine Perspektive für den Erfolg sein.“ Sofern die Bedingungen nicht zu extrem sind.