Sieben Wochen vor den Olympischen Spielen kämpft der Bundesstaat gegen eine Haushaltskrise. Der Interimsgouverneur sorgt sich um „Bild des Landes“ während des Großereignisses.

Rio de Janeiro - Mit einer milliardenschweren Sonderzahlung will die brasilianische Zentralregierung dem Bundesstaat Rio de Janeiro aus der Patsche helfen, der am Wochenende den finanziellen Notstand ausgerufen hat, weil er praktisch pleite ist. Die in sieben Wochen beginnenden Olympischen Spiele würden durch die finanzielle Notlage aber nicht beeinträchtigt, versicherte Ministerpräsident Francisco Dornelles. Um die Pleite abzuwenden, sollte Brasília am Montag dem Bundesstaat drei Milliarden Reais (750 Millionen Euro) überweisen. Im Zusammenhang mit Olympia stehen davon nur 130 Millionen Euro, mit denen die U-Bahn-Linie fertiggebaut werden soll, die für die Spiele versprochen war; die Sportstätten sind alle praktisch fertig. Mit dem Rest des Geldes sollen die Landesbediensteten bezahlt werden, die seit Monaten ihr Geld verzögert und in Abschlagszahlungen bekommen.

 

Ein umstrittenes Instrument

Die Ausrufung des finanziellen Notstands ist ein rechtlich umstrittenes Instrument, dessen Einsatz – so die Kritiker – eigentlich nur bei Natur- oder sonstigen Katastrophen, nicht aber bei politischem Fehlverhalten wie schlechter Finanzpolitik gerechtfertigt ist. Politisch allerdings ist der ungewöhnliche Schritt vermutlich ein Erfolg. Denn einerseits setzt er die Regierung in Brasília unter Druck, die der Welt ein makelloses Sportfest ausrichten will. Andere Bundesstaaten haben kein so schönes Erpressungspotenzial, wenn es um die 109 Milliarden Euro Schulden geht, die die Gliedstaaten in Brasília haben. Andererseits erzeugt die Dramatik eines Notstandes eine Lage, in der Haushaltskürzungen leichter durchzudrücken sind – auch im sozialen Bereich.

Der Bundestaat Rio ist so groß wie Niedersachsen und zählt 17 Millionen Menschen, von denen etwa zehn im Großraum der früheren brasilianischen Hauptstadt leben. Dass die Landesregierung so in den Miesen ist, begründete Dornelles mit dem Verfall des Ölpreises - die Ölquellen liegen vor der Küsten des Bundesstaates -, ferner mit der Krise der Auto- und der Stahlindustrie. Hinzu kommt, dass der Korruptionsskandal um den – in Rio de Janeiro beheimateten – Ölkonzern Petrobras zusätzlich lähmende Auswirkungen auf die Wirtschaftstätigkeit hat. Die deshalb stark gesunkenen Einnahmen aus Steuern und Royalties – den Abgaben aus der Ölförderung – haben dazu geführt, dass Rio dies Jahr rund fünf Milliarden Euro in der Kasse fehlen.

Hospitäler schicken Patienten weg

Die Schrumpfung des Haushalts 2016 um 23 Prozent hat schwere Folgen: Hospitäler schicken Patienten weg und machen zeitweise ihre Notaufnahmen zu, die Lehrer streiken seit Monaten, die Polizei schränkt ihre Streifenfahrten ein, weil das Geld für Benzin fehlt. An der renommierten Landesuniversität Rio, einem zwölfstöckigen Betongebirge, funktionierte vergangene Woche nur noch ein Aufzug. Dass sich Rio de Janeiro gleichzeitig ein – freilich noch in den goldenen Zeiten geplantes – Milliarden-Sportspektakel leistet, verschärft die ohnehin schlechte Stimmung. Die politische Lage ist kompliziert nach einem Regierungswechsel, dessen demokratische Legitimation wegen des umstrittenen Impeachments der gewählten Präsidentin Dilma Rousseff bezweifelt wird. Hinzu kommt, dass sich die Wirtschaftskrise entweder mit Arbeitslosigkeit oder aber durch die Inflation in so gut wie jedem Haushalt bemerkbar macht.  

Kräftig Wohltaten verteilt

Aber dass die Finanznot wie eine Art Naturkatastrophe über Rio de Janeiro gekommen sei, wie die Ausrufung eines Notstandes nahelegt, ist sicherlich falsch. Im Wahljahr 2014 haben die Landesregierungen genauso wie Brasília noch einmal kräftig Wohltaten verteilt – von der Einstellung neuer Staatsdiener über großzügige Erhöhungen ihrer Bezüge bis zu Steuererleichterungen für die Industrie. Was damals nicht weiter negativ auffiel, weil die Konjunktur noch halbwegs gut lief. Als verantwortungslos erscheint aus heutiger Sicht der sorglose Umgang mit den Milliarden aus dem Öl, dessen Preis aus den Höhen von 2014 dramatisch abgerutscht ist. Die Royalties, die der Staat Rio dies Jahr bezieht, liegt heute bei einer Milliarde Euro, 2014 waren es fast drei Milliarden. Ein Fonds, der die Schwankungen des Ölpreises hätte ausgleichen können, wurde nicht eingerichtet. „Rio hat sich genauso verhalten wie Venezuela“, wettert der Ökonomieprofessor Marcelo Portugal, „alles Geld wurde verbraten, und jetzt ist die Krise da“.