2015 kamen sie nach Deutschland, weil sie im Irak bedroht wurden. Nun lebt die Familie al-Obaidi gut integriert im kleinen Hessigheim – und soll abgeschoben werden. Das Dorf startet eine Petition.

Hessigheim - Wenn Alaa Al-Obaidi gefragt wird, wann es mit dem ruhig Schlafen für ihn schwieriger geworden ist, weiß er ein Datum: der 15. August 2018. An diesem Tag, einem Mittwoch, kam wieder ein lang erwarteter Brief von den Behörden. Der Inhalt war jedoch nicht erfreulich. Darin wurde dem 39-jährigen Iraker erklärt, dass sein Antrag auf Asyl abgelehnt wurde – zum dritten und letzten Mal. Die Voraussetzung für eine Anerkennung als Verfolgter sei nicht gegeben, heißt es darin, verborgen unter vielerlei Paragrafen.

 

Und als ob das nicht schon schlimm genug für den vierfachen Familienvater wäre, gab es noch eine Frist obendrauf: Er habe eine Woche, das Land zu verlassen, ansonsten drohe die Abschiebung. „Als man mir gesagt hat, wir gehen jetzt in die Kirche und nicht mehr in die Schule, habe ich richtig viel geweint“, sagt seine achtjährige Tochter Mayss. Kurzfristig hatte die Familie erwogen, in ihrer Situation Kirchenasyl zu suchen.

Die Familie klagt gegen den Bescheid

Ende September ist die größte Gefahr aufgeschoben, nämlich dass plötzlich die Polizei vor der Tür steht und die Familie in einen Flieger steckt. Eine Anwältin hat Klage gegen den Bescheid eingelegt und solange die nicht abgearbeitet ist, passiert nichts. „Aber wir wissen nicht, was danach kommt“, sagt Layth, der 15-jährige Sohn. Zurück in den Irak will niemand von ihnen.

Sie sind Sunniten und gehören damit einer Minderheit in dem islamischen Land an. Die Familie Al-Obaidi stammt aus einem Dorf nahe Bagdad. Eines Tages, so schildert es Alaa Al-Obaidi, kam eine Miliz in das Haus seines Vaters. Sie verlangten, dass er seine eigenen Glaubensbrüder verrät und ans Messer liefert. Als er sich weigerte, erschossen sie ihn.

Fünf Monate später kamen sie zurück und verlangten das Gleiche von Alaa Al-Obaidi. Auch er weigerte sich – und bekam dafür eine Kugel in den Bauch verpasst.

Die Familie fühlt sich wohl in Hessigheim

Für die Familie war das der Moment, in dem sie entschieden, nach Deutschland zu fliehen. Ein Onkel lebt seit zehn Jahren in Heidelberg und kann ihnen vielleicht helfen, hoffen sie. Sie flogen 2015 unter dem Vorwand, Urlaub zu machen, in die Türkei und begaben sich dann auf die Balkanroute.

Im November kamen sie in die Landeserstaufnahmestelle in Mannheim, danach landeten sie im Landkreis Ludwigsburg – im beschaulichen Hessigheim. Die Kinder und die Eltern fühlen sich hier wohl und willkommen. „Es ist wie eine Familie hier“, sagt die Mutter Abeer Fayyahd. Zurückhaltung oder gar Angst von Seiten der Einwohner habe sie nicht erfahren. Womöglich wäre die Integration in einer anonymen Großstadt nicht so glücklich verlaufen wie hier zwischen den Weinbergen.

Die Kinder sprechen alle gutes bis hervorragendes Deutsch

Fayyahd kann nicht verstehen, warum sie jetzt wieder gehen sollen. Ihre Kinder sprechen alle gut bis hervorragend Deutsch. Ihr Kleinster, der fünfjährige Abdullah, spricht sogar besser Deutsch als Arabisch. Die Kinder sind in Fußballvereinen aktiv und besuchen den Kindergarten beziehungsweise die Schule wie alle anderen Kinder auch. Mustafa, der älteste Sohn, hat jüngst eine Ausbildung zum Friseur angefangen. Sein Vater arbeitet aktuell als Erntehelfer bei der Weinlese, von dem Geld finanziert er sich und seiner Frau einen Deutschkurs. Auch er würde gerne Friseur werden. „Alle wollen Friseur werden, aber ich werde Ärztin“, kommentiert die achtjährige Mayss. Als ihre Schulkameradinnen mitbekommen haben, dass sie eventuell bald Deutschland verlassen muss, haben sie ihr Postkarten gemalt und drauf geschrieben: „Schade, dass du gehen musst.“

1000 Unterschriften in vier Tagen

Das Schicksal der Familie Al-Obaidi hat auch ihren Nachbarn Schemaja Eisele bewegt. Der 26-Jährige hatte bis dato nichts mit Flüchtlingshilfe am Hut. „Aber als ich von dem Bescheid erfahren habe, dachte ich, das darf so nicht kommen.“ Drei Tage nach der Ablehnung startete er eine Online-Petition, gerichtet ans Sozial- und ans Innenministerium und an viele weitere Schaltstellen in der Politik. „Jetzt, da sie es geschafft haben, hier anzukommen und sich in die Gesellschaft zu integrieren, werden sie ‚zum Dank’ abgeschoben“, klagt Eisele in der Petition und bittet darum, den Asylantrag zu genehmigen. Innerhalb von vier Tagen erhält die Petition 1000 Unterzeichner – was viel ist in Anbetracht der knapp 2200 Einwohner Hessigheims. Die Petition wird auf Facebook von den Fußballvereinen, der Kirchengemeinde und den Schulen geteilt. Irgendwann spricht quasi das halbe Dorf von den Al-Obaidis.

Eisele weiß, dass eine Petition rechtlich nichts ausrichten kann. „Aber vielleicht bewirkt es ja doch etwas“, sagt er. Zumindest hätten Landtagsabgeordnete ihre Unterstützung zugesagt. Eine Rückmeldung von jenen, an die die Petition gerichtet ist, kam jedoch noch nicht. Der Familie bleibt derweil also nichts anderes übrig als abzuwarten. Die Mutter Abeer Fayyahd gibt sich optimistisch: „Wir machen einfach weiter.“