Shahak Shapira hat sich zum Sittenwächter des Holocaust-Denkmals ernannt. Wer seinen Regeln nicht folgt, wird in aller Öffentlichkeit gemobbt. Doch Selfies sind kein Verbrechen, meint Alexandra Belopolsky.

Berlin - Der jüdische Satiriker Shahak Shapira ist darüber empört, wie Jugendliche sich am Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin verhalten. Dabei geht es ihm nicht etwa um Nazis, die das Denkmal mit den riesigen 2711 Betonblöcken schädigen. Die Kritik des Satirikers richtet sich gegen junge Menschen, die springen, skaten, radeln oder mit breitem Lächeln für die Kamera posieren. Kurz gesagt: Um junge Menschen, die das Leben feiern.

 

Shapira hat diese Menschen, völlig erkennbar, mittels Fotomontagen mit Leichenbergen ins Bild gesetzt. Die Bilder hat Shapira sozialen Netzwerken entnommen und diese damit missbraucht. Auf der Projektseite macht er denen, die sich widererkennen, das Angebot, die Bilder nach Wunsch löschen zu lassen. Somit wird klar, dass die Bilder wohl ohne Erlaubnis benutzt wurden. Die scheinbare Großzügigkeit des Löschangebots nutzt den Abgebildeten nicht. Alle wissen inzwischen: Was im Internet einmal hochgeladen wurde, verschwindet nie wieder.

Der demagogische Zweck heiligt alle Mittel

Die Tatsache, dass es sich um einen offensichtlichen Verstoß gegen das Recht am eigenen Bild handelt, kümmert Shapira und seine beunruhigend zahlreichen Lobpreiser im Netz nicht. Auch nicht, dass die Opfer dieses Projekts teilweise minderjährig zu sein scheinen. Der demagogische Zweck heiligt alle Mittel.

Denn ja, es ist Demagogie zu behaupten, dass Yoga an einem Denkmal einer Leichenschändung gleicht. Damit will Shapira sich die Macht nehmen, zu entscheiden, welches Benehmen am Denkmal „passend“ ist. Wer dem nicht folgt, wird bestraft. Shapiras Ausrede, es sei jedem selbst überlassen „wie man sich an einem Mahnmal für die Ermordung von 6 Millionen Menschen zu benehmen hat“, ist ein Lippenbekenntnis. Der Spruch steht im Gegensatz zum gesamten Projekt, das eine Anpassung an seine eigene Denkmaletikette fordert.

Eine einheitliche Denkmaletikette gibt es allerdings nicht. Denk- und Mahnmale sind nicht nur dazu da, um an schreckliche Vergangenheit zu erinnern. Sie sind auch dazu da, um daran zu erinnern, dass die Geschichte weitergeht. Gerade das Berliner Denkmal lädt dazu ein, seine Flächen zu benutzen. Es ist kein Friedhof – und selbst an Friedhöfen feiern viele Menschen Partys. Nicht aus Respektlosigkeit den Toten gegenüber, sondern um dem Tod zu trotzen. Es gibt kaum Menschlicheres als diesen Impuls. Der Versuch, ihn zu verbieten, ist zum Scheitern verurteilt.

Menschen sind wichtiger als Steine

Peter Eisenman, Architekt des Berliner Denkmals, hat es nach der Eröffnung in einem Interview mit dem Nachrichtenportal Spiegel Online auf den Punkt gebracht: „Menschen werden im dem Feld picknicken. Kinder werden in dem Feld Fangen spielen. Es wird Mannequins geben, die hier posieren. Es ist kein heiliger Ort.“

Das Leben dagegen ist heilig. Shapira scheint in seinem Projekt vergessen zu haben, dass Menschen wichtiger als Steine sind. Steine zu benutzen, um das Leben zu feiern, kann nicht verwerflicher sein, als Menschen zu benutzen, um Steine zu feiern.

Schon im Jahr 2010 sorgte ein Video von Adam Kohn für Aufsehen: Darin tanzte der Holocaust-Überlebende auf einem KZ-Gelände zum Disco-Hit „I will survive“ und feierte damit das Leben.